Samuel machte nun den Vorschlag, eine Volksversammlung nach Gilgal einzuberufen, um Sauls Königtum öffentlich zu bestätigen. So geschah es; und sie »schlachteten Opfertiere, und Saul feierte mit allen Männern Israels ein großes Fest.” (1. Samuel 11,15 GNB). WAB 601.2
Gilgal war das erste Lager Israels im verheißenen Land gewesen. Hier hatte Josua auf göttliche Anweisung zur Erinnerung an den wunderbaren Übergang über den Jordan die zwölf Steine aufgerichtet. Hier war die Beschneidung erneuert worden, und hier hatten sie nach dem Abfall bei Kade- sch und am Ende der Wüstenwanderung das erste Passafest gefeiert. Hier hatte das Manna zu fallen aufgehört. Hier hatte sich der Fürst über das Heer des Herrn als oberster Feldherr der Heere Israels offenbart. Von hier aus waren sie aufgebrochen, um Jericho zu bezwingen und Ai zu erobern. Hier hatte Achan die Strafe für seine Sünde erhalten. Hier war der Vertrag mit den Gi- beonitern geschlossen worden, wobei Israel leichtfertig versäumt hatte, Gott um Rat zu fragen. In dieser Ebene, die mit so vielen bewegenden Erinnerungen verknüpft war, stand Samuel mit Saul. Als die Begrüßungsrufe für den König verklungen waren, richtete der greise Prophet als abtretender Führer des Volkes ergreifende Abschiedsworte an die Zuhörer. WAB 601.3
»Ich habe eure Bitte erfüllt«, sagte er, »und euch einen König gegeben. Hier steht er vor euch; er ist von jetzt an euer Anführer. Ich selbst bin schon alt ... Von meiner Jugend an bis heute habe ich euch geführt. Ich stelle mich jetzt eurem Urteil. Erhebt vor dem Herrn und seinem gesalbten König Anklage gegen mich, wenn ich irgendein Unrecht begangen habe. Wem habe ich ein Rind oder einen Esel weggenommen? Wen habe ich erpresst, wen unterdrückt? Von wem habe ich mich durch Bestechung dazu bringen lassen, als Richter ein Auge zuzudrücken? Ich bin bereit, für alles Wiedergutmachung zu leisten.« Einstimmig antworteten sie: »Du hast keinen von uns unterdrückt oder erpresst und von niemand etwas angenommen.” (1. Samuel 12,1-4 GNB) WAB 601.4
Samuel suchte nicht bloß sein eigenes Verhalten zu rechtfertigen. Er hatte ihnen bereits früher die Grundsätze dargelegt, die den König und das Volk leiten sollten, und nun wollte er seinen Worten das Gewicht des eigenen Beispiels hinzufügen. Von Kind auf war er mit dem Werk Gottes verbunden gewesen, und während seines langen Lebens hatte ihm nur ein Ziel vor Augen gestanden: die Ehre Gottes und das Beste für Israel. WAB 602.1
Ehe die Israeliten aber auf Wohlergehen hoffen konnten, mussten sie zur Reue vor Gott geführt werden. Infolge ihrer Sünden hatten sie ihren Glauben an Gott und an die Erkenntnis seiner Macht und Weisheit, das Volk zu regieren, verloren. Sie hatten das Vertrauen in seine Fähigkeit eingebüßt, seine Sache zu verteidigen. Ehe sie echten Frieden finden konnten, mussten sie dahin geführt werden, die Sünde, derer sie sich schuldig gemacht hatten, einzusehen und zu bekennen. Sie hatten erklärt, der Zweck ihres Verlangens nach einem König sei, »ein König soll uns Recht sprechen und uns im Krieg anführen!” (1. Samuel 8,20 GNB) Samuel erzählte ihnen noch einmal Israels Geschichte von dem Tag an, als Gott sie aus Ägypten führte. Jahwe, der König der Könige, war vor ihnen hergezogen und hatte ihre Kämpfe ausgefoch- ten. Oft waren sie um ihrer Sünden willen in die Gewalt der Feinde geraten, aber sobald sie sich von ihren bösen Wegen abwandten, erweckte ihnen Gott in seiner Barmherzigkeit einen Befreier. Der Herr sandte Gideon und Barak, »Jiftach und schließlich mich selbst und half euch gegen alle Feinde rings um euch her, sodass ihr in Frieden und Sicherheit in eurem Land leben konntet.« Aber als Gefahr drohte, erklärten sie: »›Nein, ein König soll uns regieren!‹, obwohl”, sagte der Prophet, »doch der Herr, euer Gott, euer König ist.« (1. Samuel 12,11.12 GNB) WAB 602.2
»›Darum tretet her‹, fuhr Samuel fort, ›und gebt Acht, was für ein großes Wunder der Herr jetzt vor euren Augen tun wird! Es ist gerade Weizenernte, und ihr wisst, dass zu dieser Zeit niemals Regen fällt. Ich aber werde zum Herrn rufen und ihn bitten, dass er ein Gewitter schickt. Dann werdet ihr einsehen, was für ein großes Unrecht gegen den Herrn ihr begangen habt, als ihr einen König verlangtet.‹ Samuel rief zum Herrn, und der Herr ließ es donnern und regnen.” (1. Samuel 12,16-18 GNB) Zur Zeit der Weizenernte, im Mai und Juni, fiel im Nahen Osten kein Regen. Der Himmel war wolkenlos, die Luft klar und mild. Ein solch heftiges Unwetter in dieser Jahreszeit erfüllte alle mit Angst. Nun bekannte das Volk in Demut jene Sünde, derer es sich schuldig gemacht hatte: »Bitte den Herrn, deinen Gott, für uns, dass wir nicht sterben müssen! Wir sind sündige Menschen, und nun haben wir auch noch die Untat begangen, einen König zu verlangen.« (1. Samuel 12,19 GNB) WAB 602.3
Samuel ließ das Volk aber nicht entmutigt zurück, denn damit wären alle Bemühungen um ein besseres Leben zunichte gewesen. Satan hätte sie so weit gebracht, Gott als streng und unversöhnlich anzusehen, und sie damit mannigfachen Versuchungen ausgesetzt. Gott ist gnädig und vergebungsbereit und möchte seinem Volk stets seine Gunst erweisen, wenn es ihm gehorchen will. »Habt keine Angst!”, lautete Gottes Botschaft durch seinen Diener. »Ihr habt zwar all dieses Unrecht getan, aber haltet von jetzt an treu zum Herrn und gehorcht ihm von ganzem Herzen. Lauft nur nicht den ohnmächtigen Götzen nach! Sie können euch nicht helfen und euch nicht retten, weil sie nichts sind. Der Herr ... wird euch nicht verstoßen.« (1. Samuel 12,20.21 GNB) WAB 603.1
Mit keinem Wort erwähnte Samuel die geringschätzige Behandlung, die er selbst erfahren hatte. Er äußerte auch keinen Vorwurf über die Undankbarkeit, mit der das Volk Israel seine lebenslange Hingabe vergolten hatte. Vielmehr sicherte er ihnen seine unaufhörliche Anteilnahme zu: »Auch ich werde weiter wie bisher mit meinen Gebeten beim Herrn für euch eintreten und euch den guten und geraden Weg weisen. Ich würde ja Schuld auf mich laden, wenn ich damit aufhörte. Aber ihr müsst den Herrn ehren und ihm in Treue und von ganzem Herzen gehorchen. Denkt doch daran, was für gewaltige Dinge er für euch getan hat! Wenn ihr trotz alledem weiter Unrecht tut, werdet ihr samt eurem König weggefegt werden.” (1. Samuel 12,23-25 GNB). WAB 603.2