Ganz allmählich, erst heimlich und stillschweigend, mit zunehmender Macht, aber immer offener gewann »das Geheimnis der Gesetzesfeindschaft” (2. Thessalonicher 2,7 ZÜ) die Herrschaft über die Menschen und setzte sein trügerisches und gotteslästerliches Werk fort. Fast unmerklich fanden heidnische Bräuche Eingang in die christliche Kirche. Der Geist des Kompromisses und der Anpassung wurde eine Zeit lang durch heftige Verfolgungen zurückgehalten, die die Kirche unter dem Heidentum erdulden musste. Doch als die Verfolgungen aufhörten und das Christentum in Höfe und Paläste einzog, legte es die demütige Einfachheit Christi und seiner Apostel ab und machte dem Gepränge und Stolz heidnischer Priester und Herrscher Platz. An die Stelle von Gottes Geboten traten menschliche Theorien und Traditionen. Die formale Bekehrung von Kaiser Konstantin Anfang des vierten Jahrhunderts löste große Freude aus, und die Welt hielt unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit Einzug in die christliche Kirche. Jetzt schritt der Prozess der Verfälschung rasch voran. Das scheinbar besiegte Heidentum wurde zum Sieger. Sein Geist beherrschte die Kirche. Heidnische Lehren, Zeremonien und Aberglaube verbanden sich mit dem Glauben und dem Gottesdienst der bekennenden Nachfolger Christi. VSL 48.2
Aus diesem Kompromiss zwischen Heidentum und Christentum entstand der »Mensch der Gesetzwidrigkeit« (2. Thessalonicher 2,3 EÜ), der durch die Prophetie vorhergesagt worden war, der sich über Gott erhob und ihm entgegenstand. Dieses gigantische System falscher Religion ist ein Meisterwerk satanischer Macht, ein Denkmal seiner Bemühungen, sich selbst auf den Thron zu setzen, um die Welt nach seinem Willen zu regieren. VSL 49.1
Satan war schon einmal bestrebt, mit Christus einen Kompromiss zu schließen. Er begab sich zum Sohn Gottes in die Wüste der Versuchung und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und bot an, ihm alles zu übergeben, wenn er die Oberherrschaft des Fürsten der Finsternis anerkennen würde. Christus wies den verwegenen Versucher zurecht und zwang ihn, sich zu entfernen. Doch Satan versucht die Menschen auf gleiche Weise mit größerem Erfolg. Um irdischen Gewinn und weltliche Ehre zu erreichen, ließ sich die Kirche dazu verleiten, die Gunst und den Beistand der Großen dieser Erde zu suchen. Auf diese Weise wurde Christus zurückgewiesen, und an seiner Stelle begann man dem Bischof von Rom, dem Repräsentanten des großen Widersachers, die Untertanentreue zu leisten. 1Bei diesen und ähnlichen Aussagen hatte die Verfasserin vor allem das repressive kirchliche System des Mittelalters und der Gegenreformation vor Augen. Was die Situation des modernen Katholizismus nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) betrifft, siehe Anhang Seite 631: »Der römische Katholizismus — Kontinuität und Wandel«. VSL 49.2
Eine der wichtigsten Lehren der römischen Kirche ist, dass der Papst das sichtbare Haupt der universalen Kirche Christi sei, ausgestattet mit höchster Autorität über Bischöfe und Geistliche in allen Teilen der Welt. Mehr noch, man verlieh dem Papst sogar göttliche Titel. 2Siehe Glossar »Päpste, Titel«, S. 674. Er wurde »Herr Gott, der Papst” genannt und als unfehlbar 3Siehe Glossar »Unfehlbarkeit des Papstes«, S. 679. erklärt. Er verlangt, dass ihm alle Menschen Ehre erweisen. Denselben Anspruch, den Satan bei der Versuchung Jesu in der Wüste erhob, sucht er auch heute noch durch die Kirche Roms, und unzählige sind bereit, ihm zu huldigen. VSL 49.3
Wer jedoch Gott fürchtet und ihn verehrt, tritt dieser gegen Gott gerichteten und schlimmen Anmaßung des arglistigen Feindes ebenso entgegen, wie Christus es tat: »Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten und ihm allein dienen.” (Lukas 4,8) Gott hat in seinem Wort nie einen Hinweis darauf gegeben, dass irgendein Mensch zum Oberhaupt der Gemeinde bestimmt werden soll. Die Lehre des päpstlichen Primats steht den Lehren der Heiligen Schrift direkt entgegen. Der Papst kann keine Macht über die christliche Kirche haben, es sei denn durch widerrechtliche Aneignung. VSL 49.4