Ich sah, daß die Kirchen, seit der zweite Engel ihren Fall verkündigte, immer verderbter wurden. Sie tragen den Namen, daß sie Christi Nachfolger seien, aber es ist unmöglich, sie von der Welt zu unterscheiden. Die Prediger nehmen ihre Texte aus dem Worte Gottes, predigen aber sanft. Hiergegen hat das natürliche Herz keine Einwände zu machen. Es ist nur der Geist und die Kraft der Wahrheit und das Heil von Christo, die dem fleischlichen Herzen zuwider sind. In den gewöhnlichen Predigten ist nichts enthalten, das den Zorn Satans heraufbeschwören und den Sünder zum Zittern bringen könnte, oder das sich dem Herzen und Gewissen mit der schrecklichen Wirklichkeit eines bald kommenden Gerichtes naht. Die bösen Menschen geben sich gewöhnlich mit dem Schein der Frömmigkeit ohne wahre Gottesfurcht zufrieden, und sie werden eine solche Religion unterstützen und zu fördern suchen. EG 266.1
Der Engel sagte: “Nur die volle Rüstung der Gerechtigkeit kann es dem Menschen ermöglichen, die Mächte der Finsternis zu überwinden und den Sieg über sie zu behalten. Satan hat von den Kirchen als einem Ganzen vollen Besitz genommen. Es werden Aussprüche und Taten von Menschen anstatt der deutlichen, schneidenden Wahrheiten des Wortes Gottes behandelt. Der Geist und die Freundschaft der Welt stehen in Feindschaft wider Gott. Wenn die Wahrheit, wie sie in Jesu ist, in ihrer Einfachheit und Kraft dem Geiste der Welt gegenübertritt, wird sofort der Geist der Verfolgung erweckt. Sehr viele, die bekennen, Christen zu sein, haben Gott nie erkannt. Das natürliche Herz ist nicht verändert worden, und der fleischliche Sinn beharrt in Feindschaft wider Gott. Sie sind Satans treue Diener, obgleich sie einen anderen Namen angenommen haben.” EG 266.2
Ich sah, daß die Kirchen, seit dem Jesus das Heilige des himmlischen Heiligtums verlassen hat und durch den zweiten Vorhang gegangen war, sich immer mehr mit unreinen, verhaßten Vögeln angefüllt haben. Ich sah große Bosheit und Niederträchtigkeit in den Kirchen; aber trotzdem bekannten ihre Glieder, Christen zu sein. Ihr Bekenntnis, ihre Gebete und Ermahnungen sind dem Herrn ein Greuel. Der Engel sagte: “Gott mag ihre Versammlungen nicht riechen. Selbstsucht, Betrug und List werden von ihnen ohne Rücksicht auf die Warnung des Gewissens ausgeübt. Und über alle diese bösen Taten werfen sie den Mantel der Religion.” Mir wurde der Stolz der Namenskirchen gezeigt. Gott kommt bei ihnen nicht in Betracht. Ihre fleischlichen Sinne sind nur auf sich gerichtet, sie schmücken ihren armen, sterblichen Leib und blicken dann mit Zufriedenheit und Wohlgefallen auf sich; aber Jesus und die Engel blicken in Schmerz auf sie herab. Der Engel sagte: “Ihre Sünden und ihr Stolz reichen bis in den Himmel. Ihr Los ist schon für sie bereit. Gerechtigkeit und Gericht haben lange geschlafen, sie werden aber bald erwachen. Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.” Die furchtbaren Drohungen des dritten Engels sollen verwirklicht werden. Und alle Gottlosen werden den Kelch des Zorns Gottes trinken müssen. Eine unzählbare Schar böser Engel durchfliegt das ganze Land und füllt die Kirchen. Diese Angestellten Satans blicken mit Frohlocken auf die religiösen Gemeinschaften, denn der Mantel der Religion verdeckt die größten Verbrechen und Sünden. EG 267.1
Der ganze Himmel blickt mit Unwillen auf die Menschen, das Werk Gottes, die von ihren Mitmenschen zu dem höchsten Grade der Erniedrigung gebracht und den Tieren gleichgestellt worden sind. Bekenntliche Nachfolger des Heilandes, dessen Mitleid beim Anblick menschlicher Leiden stets erregt wurde, beteiligen sich mit ganzem Herzen an dieser großen schrecklichen Sünde und handeln mit Sklaven und den Seelen der Menschen. Menschliche Pein wird von Ort zu Ort gebracht, gekauft und verkauft. Die Engel haben alles berichtet, es steht in dem Buche geschrieben. Die Tränen der frommen Leibeigenen, seien es Väter, Mütter, Kinder, Brüder oder Schwestern, sind alle im Himmel aufbewahrt. Gott wird seinen Unwillen nur noch kurze Zeit zurückhalten. Sein Zorn brennt in ihm gegen dies Volk und besonders gegen die Religionsgemeinschaften, die diesen schrecklichen Handel gutgeheißen und sich selbst daran beteiligt haben. Solche Ungerechtigkeit, solche Unterdrückung, solche Leiden werden von vielen der vorgeblichen Nachfolger des demütigen, sanften Jesus gleichgültig betrachtet, und manche von ihnen können mit boshafter Befriedigung diese unbeschreibliche Seelenangst auferlegen und wagen es dennoch, Gott anzubeten. Es ist nur Heuchelei; Satan frohlockt darüber und macht Jesu und seinen Engeln Vorwürfe über solchen Widerspruch und sagt mit teuflischem Triumphe: “Das sind Christi Nachfolger!” EG 268.1
Diese vorgeblichen Christen lesen von den Leiden der Märtyrer, und Tränen rollen ihnen die Wangen herunter. Sie wundern sich darüber, daß Menschen je so hart und verstockt sein konnten, solche Grausamkeit gegen ihre Mitmenschen auszuüben. Aber dieselben Menschen, die so reden und denken, halten zur selben Zeit menschliche Wesen als Sklaven. Aber dies ist nicht alles; sie zerreißen die natürlichen Bande und bedrücken ihre Mitmenschen aufs grausamste. Sie fügen Menschen mit der selben unbarmherzigen Grausamkeit unmenschliche Martern zu, wie es die Papisten und Heiden mit Jesu Nachfolger getan haben. Der Engel sagte: “Es wird den Heiden und Papisten am Tag des Gerichts erträglicher gehen als jenen Menschen.” Das Schreien der Unterdrückten hat den Himmel erreicht, die Engel stehen verwundert da über die unbeschreiblichen, schrecklichen Leiden, welche Menschen, die nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen sind, ihren Mitmenschen verursachen. Der Engel sagte: “Die Namen der Quäler sind mit Blut geschrieben, durchkreuzt mit Striemen, und überschwemmt mit heißen Tränen des Leidens. Gottes Zorn wird nicht aufhören, bis er diesem Lande des Lichts den Becher seines Zornes zu trinken gegeben und es Babylon doppelt vergolten hat. Bezahlet sie, wie sie bezahlt hat, und macht’s ihr zwiefältig nach ihren Werken; und in welchen Kelch sie eingeschenkt hat, schenket ihr zwiefältig ein.” EG 268.2
Ich sah, daß der Sklavenhändler für die Seele seines Sklaven, den er in Unwissenheit hielt, verantwortlich gemacht werden wird, und die Sünden des Sklaven werden an dem Herrn heimgesucht werden. Gott kann den Sklaven, der in Unwissenheit dahinlebte, der nichts von Gott oder der Bibel wußte, der nichts fürchtet, als die Geißel seines Herrn und eine niedrigere Stellung einnimmt als das Tier, nicht in den Himmel nehmen. Er verfährt aber mit ihm auf die beste Art und Weise, wie nur ein mitleidiger Gott es vermag. Er läßt ihn sein, als ob er nie gewesen wäre; während sein Herr die sieben letzten Plagen erdulden muß und dann in der zweiten Auferstehung erweckt werden wird, um den zweiten schrecklichen Tod zu erleiden. Als dann wird der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan sein. EG 269.1