In einem Traum am 29. September 1886 ging ich in Gesellschaft vieler andrer, unter denen etliche junge Männer und Mädchen waren, Beeren suchen. Wir schienen in einer Stadt zu sein, denn es war nur sehr wenig freies Land zu sehen; aber außerhalb der Stadt waren freie Felder, schöne Haine und wohlgepflegte Gärten. Ein mit Lebensmitteln für uns beladener Wagen fuhr voraus. DEV 119.3
Als der Wagen anhielt, zerstreute sich die Gesellschaft in alle Richtungen, Früchte zu suchen. Um den Wagen herum waren sowohl hohe als auch niedrige, mit schönen Früchten behangene Heidelbeerbüsche, aber die Leute sahen alle zu weit über sie hinaus; als daß sie diese bemerkten. Ich fing an, die nahen Früchte zu sammeln, mußte allerdings sehr vorsichtig sein, um nicht die unreifen mit abzupflücken; denn diese waren so sehr mit den reifen vermischt, daß ich nur eine oder zwei Beeren auf einmal von einem Büschel pflücken konnte. DEV 120.1
Einige große schöne Beeren waren abgefallen und lagen, von Würmern und Insekten halb verzehrt, auf dem Boden. “O,” dachte ich, “wenn doch diese Stelle früher durchsucht worden wäre, dann hätten die köstlichen Beeren verwendet werden können. Aber jetzt ist es zu spät. Ich will die abgefallenen jedoch aufheben und sehen, ob noch etwas Gutes an ihnen ist. Und selbst wenn sie ganz verdorben sind, kann ich den Geschwistern zeigen, was sie hätten finden können, wenn sie nicht zu spät gekommen wären.” DEV 120.2
Gerade in dem Augenblick kamen zwei oder drei unsrer Gesellschaft dahin, wo ich war. Sie waren in eifrigem Gespräch begriffen, das ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Als sie mich sahen, sagten sie: “Wir haben überall gesucht, können aber keine Beeren finden.” Mit Erstaunen erblickten sie die Menge, die ich hatte. “Hier sind noch viele,” sagte ich, “die Büsche sind voll reifer Beeren.” Sie begannen zu pflücken, hielten aber bald auf und sagten: “Es ist nicht recht, daß wir hier pflücken; du hast die Stelle gefunden, und die Beeren gehören dir mit Recht.” Aber ich erwiderte: “Das macht nichts. Pflückt nur, wo ihr etwas findet. Dies ist Gottes Feld, und die Beeren sind sein; es ist euer Vorrecht, sie zu sammeln.” DEV 120.3
Aber bald schien ich wieder allein zu sein. Dann und wann hörte ich beim Wagen lachen und scherzen. Ich rief hinüber: “Was macht ihr da?” Sie antworteten: “Wir konnten keine Beeren finden, und weil wir müde und hungrig waren, kamen wir hierher, um uns zu erfrischen. Wenn wir uns ausgeruht haben, werden wir weiter suchen.” DEV 120.4
“Aber,” sagte ich, “ihr habt noch nichts eingebracht. Ihr eßt unsern Vorrat auf und gebt uns keinen neuen. Ich habe keine Zeit zum essen; hier sind zu viele Beeren, die gepflückt werden müssen. Ihr fandet keine, weil ihr nicht genau genug nachsaht. Sie hängen nicht außen an den Büschen, ihr müßt danach suchen. Allerdings kann man sie nicht handweise pflücken, aber wenn man sie sorgfältig zwischen den grünen Beeren ausliest, findet man reichlich.” DEV 121.1
Mein kleiner Eimer war bald voll, und ich brachte ihn zum Wagen. Dabei sagte ich: “Dies sind die schönsten Heidelbeeren, die ich je gesammelt habe, und ich fand sie ganz in der Nähe, während ihr euch weiter weg erfolglos müde suchtet.” DEV 121.2
Nun kamen alle herzu, um meine Beeren zu bewundern, und sagten: “Das sind Beeren von den hohen Sträuchern, sie sind fest und gut. Wir glaubten nicht, etwas an den hohen Büschen zu finden. Deshalb suchten wir an den niedrigen und fanden nur wenige.” DEV 121.3
Darauf sagte ich: “Wollt ihr diese Beeren wegstellen und dann mit mir kommen, um noch mehr von den hohen Büschen zu sammeln?” Aber sie machten keine Anstalten, die gesammelten Früchte aufzuheben. Schüsseln und Töpfe waren reichlich vorgesehen, aber sie waren für die Speisen benutzt worden. Ich wurde des Wartens müde und sagte schließlich: “Seid ihr nicht gekommen, Beeren zu sammeln? Warum seid ihr nicht bereit, sie aufzubewahren?” DEV 121.4
Einer aus ihrer Mitte antwortete: “Wir hatten wirklich nicht erwartet, hier Heidelbeeren zu finden, wo die Häuser so nahe sind und so viele Leute vorübergehen; weil du es aber so gern wolltest, entschlossen wir uns mitzugehen. Wir haben uns reichlich mit Erfrischungen versehen und wollten eine kleine Erholung haben, wenn wir keine Beeren finden würden.” DEV 121.5
Meine Erwiderung war: “Solche Arbeit kann ich nicht verstehen. Ich werde noch einmal zu den Büschen gehen. Der Tag geht zu Ende, bald wird es dunkel sein, und dann können wir nichts mehr sammeln.” Einige gingen nun mit, die andern blieben beim Wagen, um zu essen. DEV 122.1
An einer Stelle hatte sich eine kleine Gruppe gebildet, die sich sehr lebhaft etwas scheinbar Interessantes erzählte. Ich ging hinzu und bemerkte, daß ein kleines Kind auf dem Arm einer Frau die allgemeine Aufmerksamkeit fesselte. “Ihr habt nicht mehr lange Zeit; arbeitet doch, so lange ihr könnt,” sagte ich zu ihnen. DEV 122.2
Andre verfolgten mit den Augen einen jungen Mann und ein junges Mädchen, die um die Wette nach dem Wagen liefen. Dort angelangt, waren sie so ermüdet, daß sie sich setzen mußten, um auszuruhen. Noch andre lagerten im Gras und pflegten der Ruhe. DEV 122.3
Auf diese Weise verging der Tag, und nur sehr wenig wurde geschafft. Zuletzt sagte ich: “Ihr nennt dies sicherlich einen erfolglosen Ausflug. Wenn ihr immer in der Weise arbeitet, dann wundert mich euer Mangel an Erfolg nicht. Erfolg oder Mißlingen ist meistens darauf zurückzuführen, wie man das Werk angreift. Es gibt hier Heidelbeeren, denn ich habe sie gefunden. Einige von euch haben vergebens an den niedrigen Büschen gesucht, andre haben etliche gefunden; aber an den hohen Büschen seid ihr vorübergegangen, weil ihr dort keine Beeren erwartetet. Ihr seht, daß die von mir gesammelten Früchte groß und reif sind; bald werden noch mehr reif sein, und wir können die Büsche wieder durchsuchen. In der Weise bin ich gelehrt worden, nach Beeren zu suchen. Hättet ihr gleich in der Nähe des Wagens angefangen zu suchen, dann hättet ihr ebenso gut Heidelbeeren gefunden wie ich. DEV 122.4
Die Lehre, die ihr heute den Anfängern in dieser Arbeit gegeben habt, wird sich ihnen einprägen. Der Herr hat diese fruchttragenden Pflanzen ganz in der Nähe der dichtbewohnten Orte wachsen lassen, und er erwartet, daß ihr sie findet. Ihr habt euch aber zu sehr mit dem Essen und dem Vergnügen beschäftigt; ihr seid nicht mit dem ernsten Entschluß hierher gekommen, Beeren zu lesen. DEV 122.5
Ihr müßt künftig mit größerem Ernst und Eifer arbeiten, müßt euch ein ganz andres Ziel setzen, sonst wird eure Arbeit nie mit Erfolg gekrönt sein. Arbeitet ihr in der rechten Weise, dann werdet ihr die jüngeren Arbeiter lehren, daß Essen und Erholung von geringerer Wichtigkeit sind. Es war schwer, den Wagen mit den Lebensmitteln hierher zu bringen, aber ihr habt mehr an die Erfrischungen gedacht als an die Früchte, die ihr als Lohn eurer Arbeit mit nach Hause bringen solltet. Ihr müßt fleißig sein, müßt zuerst die am nächsten stehenden Beeren sammeln und dann weiter weg suchen; später könnt ihr wieder in der Nähe suchen, und auf diese Weise werdet ihr Erfolg haben.” DEV 123.1