Auf der Grundlage von Galater.
Während Paulus in Korinth weilte, hatte er allen Grund, um einige schon bestehende Gemeinden ernsthaft besorgt zu sein. Durch den Einfluß falscher Lehrer, die sich inmitten der Gläubigen in Jerusalem erhoben hatten, griffen Spaltungen, Irrlehren und die “Lüste des Fleisches” (Galater 5,16) schnell unter den Christen in Galatien um sich. Die falschen Lehrer vermischten jüdische Überlieferungen mit der Wahrheit des Evangeliums. Sie setzten sich über den Beschluß des Jerusalemer Konzils hinweg und drängten die Bekehrten aus den Heiden, das Zeremonialgesetz zu befolgen. WA 379.1
Die Lage wurde bedenklich. Die Übelstände, die um sich gegriffen hatten, drohten die Gemeinden in Galatien zu zerstören. WA 379.2
Paulus war durch diesen offenkundigen Abfall derer, die er gewissenhaft in den Grundsätzen des Evangeliums unterwiesen hatte, in seinem Herzen getroffen und in seinem Innern tief beunruhigt. Sofort schrieb er an die irregeführten Gläubigen, enthüllte die Irrlehren, die sie angenommen hatten, und wies die vom Glauben Abgewichenen mit allem Ernst zurecht. Zuerst begrüßte er die Galater mit den Worten: “Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unsrem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.” Galater 1,3. Doch dann richtete er folgenden scharfen Tadel an sie: WA 379.3
“Mich wundert, daß ihr euch so bald abwenden lasset von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium, obwohl es doch kein andres gibt; nur daß etliche da sind, die euch verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren. Aber wenn auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.” Galater 1,6-8. Paulus hatte im Einklang mit der Heiligen Schrift gelehrt, und der Heilige Geist hatte sich zu seiner Arbeit bekannt; deshalb warnte er seine Brüder davor, auf Lehren zu hören, die der Wahrheit, die er verkündet hatte, widersprachen. WA 379.4
Der Apostel beschwor die galatischen Gläubigen, sorgfältig über ihre erste Erfahrung im christlichen Leben nachzudenken. “O ihr unverständigen Galater!”, rief er ihnen zu. “Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte? Das allein will ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ir’s denn nun im Fleisch vollenden? Habt ihr denn so viel umsonst erlitten? Wenn anders das konnte umsonst sein! Der euch nun den Geist darreicht und tut solche Taten unter euch, tut er’s durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?” Galater 3,1-5. WA 380.1
So stellte Paulus die Gläubigen in Galatien vor das Gericht ihres eigenen Gewissens und suchte sie auf ihrem Wege aufzuhalten. Er vertraute der rettenden Macht Gottes und weigerte sich, die Lehren der abgefallenen Lehrer anzuerkennen. Zugleich bemühte er sich, die Bekehrten davon zu überzeugen, daß sie gröblich getäuscht worden seien, daß sie aber Satans Absichten vereiteln könnten, wenn sie zu ihrem früheren Glauben an das Evangelium zurückkehrten. Er stellte sich entschieden auf die Seite der Wahrheit und Gerechtigkeit, und sein fester Glaube und sein Vertrauen zu der Botschaft, die er verkündigte, wurden vielen, die im Glauben schwankend geworden waren, eine Hilfe, zur Treue ihrem Heiland gegenüber zurückzukehren. WA 380.2
Wie unterschiedlich war doch die Schreibart des Apostels an die Korinthergemeinde von seinem Verhalten gegenüber den Galatern. Die einen tadelte er rücksichtsvoll und feinfühlend, die andern strafte er mit Worten schonungsloser Mißbilligung. Die Korinther waren einer Versuchung erlegen. Sie waren verwirrt und irregeleitet worden von den ausgeklügelten Spitzfindigkeiten von Lehrern, die ihnen unter dem Deckmantel der Wahrheit Irrlehren gebracht hatten. Daher bedurfte es der Rücksicht und Geduld, sie zu lehren, das Falsche vom Wahren zu unterscheiden. Wäre Paulus mit Härte oder unbesonnenem Eifer vorgegangen, hätte das seinen Einfluß auf viele, denen er gern helfen wollte, zunichte gemacht. WA 381.1
In den Gemeinden Galatiens aber trat offener unverhüllter Irrtum an die Stelle des Evangeliums. Hier wurde tatsächlich Christus, der wahre Grund des Glaubens, um veralteter jüdischer Bräuche willen aufgegeben. Der Apostel war sich darüber klar, daß die Gläubigen in Galatien von diesen gefährlichen Einflüssen nur befreit werden konnten, wenn die entschiedensten Maßnahmen ergriffen und die schärfsten Warnungen erteilt würden. WA 381.2
Für jeden Diener Christi ist es wichtig, daß er lernt, sich in seiner Arbeit auf die einzustellen, denen er helfen will. Feingefühl und Geduld, Entschiedenheit und Festigkeit sind gleicherweise notwendig, aber sie müssen mit besonderer Einsicht geübt werden. Mit Menschen verschiedener Sinnesart unter wechselnden Umständen und Bedingungen richtig umgehen zu können, ist eine Aufgabe, die eine vom Geist Gottes erleuchtete und geheiligte Weisheit und Urteilsfähigkeit erfordert. WA 381.3
In seinem Brief an die Gläubigen in Galatien gab Paulus einen kurzen Überblick über die wesentlichen Geschehnisse, die mit seiner Bekehrung und seiner ersten christlichen Erfahrung verbunden waren. Dadurch wollte er ihnen zeigen, daß er durch eine besondere Offenbarung der göttlichen Macht zur Erkenntnis und Annahme des Evangeliums geführt worden war. Eine von Gott selbst empfangene Unterweisung hatte Paulus veranlaßt, die Galater in solch nachdrücklicher und bestimmter Weise zu warnen und zu ermahnen. Deshalb schrieb er nicht zögernd oder zweifelnd, sondern aus der Gewißheit einer wohlbegründeten Überzeugung und aus umfassender Kenntnis. Deutlich stellte er dar, welch ein Unterschied darin besteht, ob man von Menschen belehrt oder unmittelbar von Christus unterwiesen worden ist. WA 381.4
Der Apostel bat die Galater eindringlich, sich von den falschen Führern zu trennen, durch die sie verführt worden waren, und zu dem Glauben zurückzukehren, den unverkennbare Beweise göttlicher Bestätigung begleitet hatten. Die Männer, die versucht hatten, sie vom Glauben an das Evangelium abwendig zu machen, waren Heuchler, ungeheiligt in ihren Herzen und verdorben in ihrem Wandel. Ihre Frömmigkeit bestand in einer Reihe von Bräuchen, durch deren Beachtung sie hofften, die Gunst Gottes erwerben zu können. Sie hatten kein Verlangen nach einem Evangelium, das Gehorsam gegenüber dem Wort verlangte: “Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.” Johannes 3,3. Eine auf derartiger Grundlage ruhende Religion fordere ein zu großes Opfer, meinten sie. Deshalb beharrten sie bei ihren Irrtümern und betrogen sich selbst und andere. WA 382.1
Die Heiligkeit des Herzens und Lebens durch äußerliche religiöse Formen zu ersetzen, ist dem unbekehrten Wesen heute noch genauso verlockend wie zur Zeit jener jüdischen Lehrer. Heute wie damals gibt es falsche geistliche Führer, deren Lehren viele begierig lauschen. Es ist Satans wohlüberlegtes Bemühen, Menschen von der Heilshoffnung in Christus und vom Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz abzubringen. Zu allen Zeiten paßt der Erzfeind seine Versuchungen den Vorurteilen und Neigungen derer an, die er irreleiten will. Im apostolischen Zeitalter verleitete er die Juden, das Zeremonialgesetz zu erhöhen, Christus aber zu verwerfen. Jetzt verführt er unter dem Vorwand, Christus zu ehren, viele vorgebliche Christen dazu, das Sittengesetz gering zu schätzen und zu lehren, daß Gottes Weisungen ungestraft übertreten werden dürften. Es ist die Pflicht eines jeden Dieners Gottes, diesen Verfälschern des Glaubens fest und entschieden entgegenzutreten und alle Irrtümer durch das Wort der Wahrheit furchtlos bloßzustellen. WA 382.2
Bei seinem Bemühen, das Vertrauen seiner Brüder in Galatien wiederzugewinnen, rechtfertigte Paulus geschickt seine Stellung als Apostel Christi. Er bezeichnet sich als einen Apostel “nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten”. Galater 1,1. Nicht von Menschen, sondern von der höchsten Autorität im Himmel hatte er seinen Auftrag empfangen. Sein Apostelamt war von dem allgemeinen Konzil in Jerusalem anerkannt worden, dessen Entscheidungen er in seinem ganzen Wirken unter den Nichtjuden nachgekommen war. WA 383.1
Paulus lag es fern, sich selbst zu verherrlichen, aber um die Gnade Gottes zu preisen, bezeugte er denen, die sein Apostelamt leugneten: “Ich achte doch, ich sei nicht weniger, als die hohen Apostel sind.” 2.Korinther 11,5. Wer seine Berufung und sein Werk herabzusetzen suchte, stritt wider Christus, dessen Gnade und Kraft sich durch Paulus bekundeten. Durch den Widerstand seiner Feinde sah sich der Apostel gezwungen, entschieden für seine Stellung und sein Ansehen einzutreten. WA 383.2
Denen, die einst in ihrem Leben die Kraft Gottes erfahren hatten, legte Paulus nahe, zu ihrer ersten Liebe zum Evangelium zurückzukehren. Unwiderlegbar bewies er ihnen, welch ein Glück es ist, freie Männer und Frauen in Christus zu werden, der durch seine versöhnende Gnade alle, die sich ihm völlig übergeben, mit dem Gewand der Gerechtigkeit bekleidet. Er vertrat den Standpunkt, daß jeder, der gerettet werden will, eine echte, persönliche Erfahrung mit Gott gemacht haben muß. WA 383.3
Die eindringlichen Worte der Ermahnung des Apostels blieben nicht fruchtlos. Der Heilige Geist wirkte mit großer Macht, und viele, die auf Abwege geraten waren, kehrten zu ihrem Glauben an das Evangelium zurück. Von nun an standen sie fest in der Freiheit, die Christus ihnen erworben hatte. In ihrem Leben offenbarte sich die Frucht des Geistes: “Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut; Keuschheit.” Galater 5,22. Gottes Name wurde verherrlicht, und viele wurden in jener Gegend den Gläubigen hinzugetan. WA 384.1