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Kapitel 45: Geschrieben von Rom WA 465

Auf der Grundlage von Kolosser; Philipper.

Bereits frühzeitig in seinem Glaubensleben hatte der Apostel Paulus besondere Gelegenheit erhalten, tiefer in den göttlichen Willen über die Nachfolge Jesu einzudringen. Er ward “entrückt bis an den dritten Himmel”, ja, er ward “entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche ein Mensch nicht sagen darf”. Er selber bezeugte, daß er viele “Gesichte und Offenbarungen des Herrn” empfangen habe. In seiner Erkenntnis der Glaubensgrundsätze des Evangeliums stand er daher keinem der “hohen Apostel” nach. 2.Korinther 12,2.4.1.11. Er hatte auch ein klares Verständnis, “welches da sei die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe” der “Liebe Christi, die doch alle Erkenntnis übertrifft”. Epheser 3,18.19. WA 465.1

Paulus konnte nicht alles berichten, was er geschaut hatte, denn einige seiner Zuhörer hätten seine Worte mißbraucht. Was ihm offenbart worden war, befähigte ihn aber, als Leiter und verständiger Lehrer zu wirken, und es beeinflußte auch die Botschaften, die er in späteren Jahren den Gemeinden sandte. Die Eindrücke, die er während eines Gesichtes empfangen hatte, waren ihm stets gegenwärtig. Das ermöglichte ihm, eine treffende Darstellung des christlichen Charakters zu vermitteln. Mündlich und schriftlich verkündigte er eine Botschaft, die seitdem der Gemeinde immer wieder Hilfe und Kraft verliehen hat. Zu den Gläubigen unserer Tage spricht diese Botschaft deutlich von den Gefahren, die der Gemeinde drohen, und von den falschen Lehren, denen sie zu begegnen haben wird. WA 465.2

Der Apostel wünschte allen, an die er seine Briefe mit Ratschlägen und Mahnungen richtete, daß sie “nicht mehr unmündig seien” und sich nicht “bewegen und umhertreiben lassen von jeglichem Wind der Lehre”, sondern daß “alle hinankommen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur Reife des Mannesalters, zum vollen Maß der Fülle Christi”. Epheser 4,14.13. Ernstlich bat er die Nachfolger Jesu, die unter den Heiden wohnten, nicht mehr zu leben, “wie die Heiden wandeln in der Nichtigkeit ihres Sinnes. Ihr Verstand ist verfinstert, und sie sind fremd geworden dem Leben, das aus Gott ist, durch die ... Verstockung ihres Herzens”. Epheser 4,17.18. “So sehet nun wohl zu, wie ihr wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kaufet die Zeit aus.” Epheser 5,15.16. Er ermutigte die Gläubigen, vorwärts zu schauen auf das Kommen Christi, der “geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben ... auf daß er sie sich selbst darstellte als eine Gemeinde, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen, sondern daß sie heilig sei und unsträflich”. Epheser 5,25.27. WA 466.1

Diese Botschaften, die nicht aus menschlicher, sondern göttlicher Vollmacht niedergeschrieben sind, enthalten Lehren, mit denen sich jeder vertraut machen und deren man sich zu eigenem Nutzen immer wieder erinnern sollte. Sie kennzeichnen praktische Frömmigkeit und legen Nachdruck auf Grundsätze, die in jeder Gemeinde befolgt werden sollten. Deutlich wird darin der Weg zum ewigen Leben gewiesen. WA 466.2

Was Paulus in seinem Brief den “Gläubigen Brüdern in Christus” und den “Heiligen zu Kolossä” (Kolosser 1,2) während seiner Gefangenschaft in Rom schrieb, bringt seine Freude über ihre Standhaftigkeit im Glauben zum Ausdruck, von der Epaphras ihm berichtet hatte. Er hat — so heißt es wörtlich — “uns auch kundgtan ... eure Liebe im Geist. Darum”, so fährt Paulus fort, “auch wir von dem Tage an, da wir’s gehört haben, lassen wir nicht ab, für euch zu beten und zu bitten, daß ihr erfüllt werdet mit Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht, auf daß ihr des Herrn würdig wandelt zu allem Gefallen und Frucht bringt in jeglichem guten Werk und wachset in der Erkenntnis Gottes und gestärkt werdet mit aller Kraft durch seine herrliche Macht zu aller Geduld und Langmut.” Kolosser 1,8-11. WA 466.3

In diese Worte kleidete Paulus seine Wünsche für die Gläubigen in Kolossä. Was für ein hohes Lebensziel weisen sie doch dem Nachfolger Jesu! Sie zeigen die wunderbaren Möglichkeiten eines Christenlebens auf und lassen erkennen, wie unbegrenzt die Segnungen sind, die Gottes Kinder empfangen können. Wachsen sie ständig in der Erkenntnis Gottes, dann können sie in der christlichen Erfahrung vorankommen, bis er sie “durch seine herrliche Macht zu aller Geduld und Langmut ... tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht” und versetzt hat “in das Reich seines lieben Sohnes”. Kolosser 1,11-13. WA 467.1

Der Apostel erhöhte Christus vor seinen Brüdern als den einen, durch den Gott alle Dinge geschaffen und ihre Erlösung bewirkt hat. Er erklärte, daß die Hände, die die Welten im Nichts tragen und alles in Gottes Universum in einer wunderbaren Ordnung erhalten, dieselben Hände sind, die für uns ans Kreuz genagelt wurden. “In ihm”, so schrieb Paulus, “ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Reiche oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.” Kolosser 1,16.17. “Auch euch, die ihr vormals ihm fremd und feindlich gesinnt waret in bösen Werken, hat er nun versöhnt mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod, auf daß er euch darstellte heilig und unsträflich und ohne Tadel vor seinem Angesicht.” Kolosser 1,21. WA 467.2

Der Sohn Gottes erniedrigte sich, um die Gefallenen emporzuheben. Er verließ die sündlosen Welten in der Höhe, die neunundneunzig, die ihn liebten, und kam auf diese Erde, auf daß er “um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen” (Jesaja 53,5) wurde. In allen Dingen wurde er seinen Brüdern gleich. Er wurde ein Mensch wie wir und erfuhr, was es heißt, hungrig, durstig und müde zu sein; er hielt sich durch Nahrung am Leben und stärkte sich durch Schlaf; er war ein Fremdling und Gast auf Erden. Er war “in der Welt”, aber nicht “von der Welt”, versucht und angefochten, wie Männer und Frauen auch heute versucht und angefochten werden, lebte dabei aber sündlos. Stets verständnisvoll und mitfühlend, rücksichtsvoll gegen andere, stellte er in seinem Wesen den Charakter Gottes dar. “Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ... voller Gnade und Wahrheit.” Johannes 1,14. WA 468.1

Umgeben von den Sitten und Einflüssen des Heidentums, waren die Gläubigen Kolosser in der Gefahr, sich von dem schlichten Evangelium wegziehen zu lassen. Paulus warnte sie davor und wies auf Christus hin, den einzig zuverlässigen Führer. “Ich lasse euch aber wissen”, schrieb er ihnen, “welch einen Kampf ich habe für euch und für die zu Laodicea und alle, die meine Person im Fleisch nicht gesehen haben, auf daß ihre Herzen gestärkt und zusammengefügt werden in der Liebe und zu allem Reichtum des vollen Verständnisses, zu erkennen das Geheimnis Gottes, das Christus ist, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. WA 468.2

Ich sage das, auf daß euch niemand betrüge mit verführerischen Reden ... Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so wandelt in ihm und seid verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt seid, und seid reichlich dankbar. Sehet zu, daß euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf der Menschen Lehre und auf die Elemente der Welt und nicht auf Christus. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr habt diese Fülle in ihm, welcher ist das Haupt aller Reiche und Gewalten.” Kolosser 2,1-10. WA 468.3

Christus hat vorausgesagt, daß Verführer auftreten und daß durch ihren Einfluß der “Unglaube wird überhandnehmen” und “die Liebe in vielen erkalten”. Matthäus 24,12. Er hatte die Jünger gewarnt, daß von dieser Seite der Gemeinde größere Gefahren drohten als von der Verfolgung durch ihre Feinde. Wiederholt warnte Paulus die Gläubigen vor diesen Irrlehrern. Vor dieser Gefahr sollten sie sich hüten; denn durch die Aufnahme falscher Lehrer öffneten sie Irrtümern die Tür, so daß es dem Feind ermöglicht würde, das geistliche Unterscheidungsvermögen zu trüben und das Vertrauen derer zu erschüttern, die noch jung im Glauben stünden. Christus sei die Richtschnur, nach der sie jede Lehre prüfen müßten. Alles, was mit seinem Wort nicht übereinstimmt, sollten sie zurückweisen. Christus ist um unserer Sünde willen gekreuzigt, von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren — so lautet der Inbegriff der Heilsbotschaft, die sie lernen und lehren sollten. WA 469.1

Die Warnungen des Wortes Gottes vor den Gefahren, die der christlichen Gemeinde von allen Seiten drohten, gelten auch uns heute. So wie in den Tagen der Apostel Männer versuchten, den Glauben an die Heilige Schrift durch Überlieferung und Philosophie zu untergraben, so versucht in unserer Zeit der Feind der Gerechtigkeit durch gefällige Gedankengänge der “höheren Kritik”, der Entwicklungstheorie, des Spiritualismus, der Theosophie und des Pantheismus Menschen auf verbotene Pfade zu locken. Vielen ist die Bibel wie eine Lampe ohne Öl, weil sie sich spekulativen Anschauungen zugewandt haben, die zu Mißverständnissen und Verwirrung führen. Durch die “höhere Kritik”, die alles zergliedert und zerpflückt und sich auf Mutmaßungen stützt, wird der Glaube an die Bibel als eine göttliche Offenbarung zerstört. Sie beraubt Gottes Wort der Kraft, das Leben des Menschen zu beherrschen, emporzuheben und zu begeistern. Durch den Spiritualismus werden viele gelehrt, Lustgewinn sei das höchste Gesetz, Zügellosigkeit sei Freiheit, und jeder sei nur sich selbst verantwortlich. WA 469.2

Der Nachfolger Jesu wird diesen “verführerischen Reden” (Kolosser 2,1-10) widerstehen, vor denen der Apostel die gläubigen Kolosser warnte. Zwar wird er auf solche vergeistigenden Auslegungen der Schrift stoßen, sollte sie aber nicht annehmen. Seine Stimme sollte die ewigen Wahrheiten der Heiligen Schrift unmißverständlich bejahen. Seinen Blick fest auf Christus gerichtet, sollte er unbeirrt auf dem ihm vorgezeichneten Weg vorwärtsschreiten und alle Anschauungen, die nicht mit der Lehre Christi übereinstimmen, zurückweisen. Gottes Wahrheit sollte Gegenstand seiner Betrachtung und seines Nachsinnens sein, und er sollte die Bibel als Sprachrohr Gottes hinnehmen, durch das der Herr unmittelbar zu ihm spricht. So wird er die Weisheit finden, die göttlichen Ursprungs ist. WA 470.1

Die Erkenntnis Gottes, wie sie sich in Christus offenbart hat, ist das Wissen, das alle haben müssen, die gerettet werden wollen. Diese Erkenntnis bewirkt eine Umwandlung des Charakters. Findet sie Eingang im Leben, so gestaltet sie den Menschen neu nach dem Bilde Christi. Gott lädt seine Kinder ein, diese Erkenntnis zu empfangen; ohne sie ist alles andere vergänglich und wertlos. WA 470.2

Die Grundlage der Charakterbildung eines Nachfolgers Jesu ist in jeder Generation und in allen Landen die gleiche: die Grundsätze, die das Wort Gottes enthält. Die einzige zuverlässige und sichere Richtschnur ist, zu tun, was Gott sagt. “Die Befehle des Herrn sind richtig.” Psalm 19,9. “Wer das tut, wird nimmermehr wanken.” Psalm 15,5. Mit dem Worte Gottes traten die Apostel den Irrlehren ihrer Tage entgegen und erklärten: “Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist.” 1.Korinther 3,11. WA 470.3

Bei ihrer Bekehrung und Taufe hatten sich die Kolosser verpflichtet, mit den Anschauungen und Gewohnheiten zu brechen, die bisher ein Bestandteil ihres Lebens gewesen waren, um fortan ihrem Treueid Christus gegenüber nachzukommen. Paulus erinnerte sie in seinem Briefe daran und bat sie dringend, nicht zu vergessen, daß sie, um ihr Versprechen halten zu können, unablässig dem Bösen widerstehen müßten, das versuchen würde, die Herrschaft über sie zu gewinnen: “Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zu der Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.” Kolosser 3,1-3. WA 471.1

“Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!” 2.Korinther 5,17. Durch Christi Kraft haben Männer und Frauen die Fesseln sündhafter Gewohnheiten gesprengt und der Selbstsucht abgesagt. Durch sie wurden Frevler ehrerbietig, Trunkenbolde nüchtern und Lasterhafte rein. Menschen, die von Sünden gezeichnet waren, verwandelte sie in das Ebenbild Gottes. Solch eine Umwandlung ist das größte aller Wunder. Daß Gottes Wort solche Veränderung zu bewirken vermag, gehört zu seinen tiefsten Geheimnissen. Wir können es nicht verstehen; wir können nur glauben, was die Schrift darüber sagt: Es kommt daher, “daß Christus in euch wohnt und euch die Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit verbürgt”. Kolosser 1,27; Albrecht-Übersetzung. WA 471.2

Gewinnt Gottes Geist die Herrschaft über Herz und Sinn, dann stimmt der Bekehrte ein neues Lied an, denn er hat erfahren, daß sich in ihrem Leben Gottes Verheißung erfüllt hat: Seine Übertretungen sind ihm vergeben, und seine Sünden sind bedeckt. Er hat Buße getan vor Gott für die Übertretung des göttlichen Gesetzes und vertraut auf Christus, der gestorben ist, um uns zu rechtfertigen. “Gerecht geworden durch den Glauben”, hat er nun “Frieden mit Gott durch unsren Herrn Jesus Christus.” Römer 5,1. WA 471.3

Wer als Christ solch eine Erfahrung machen durfte, sollte nicht die Hände in den Schoß legen und zufrieden sein mit dem, was für ihn geschehen ist. Wer entschlossen ist, in das Reich Christi einzugehen, wird bald spüren, daß alle Mächte und Leidenschaften des sündigen Wesens, verstärkt durch die Mächte des Reiches der Finsternis, sich gegen ihn erheben. Täglich muß er sich aufs neue Gott weihen und mit dem Bösen kämpfen. Alte Gewohnheiten und angeborene Neigungen zum Bösen werden um die Oberhand streiten. Darum muß er vor ihnen stets auf der Hut sein und sich bemühen, in der Kraft Christi zu siegen. WA 472.1

“So tötet nun”, schrieb Paulus den Kolossern, “die Glieder, die auf Erden sind ... In dem allen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr noch darin lebtet. Nun aber leget alles ab von euch, Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde ... So ziehet nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und vertrage einer den andern und vergebet euch untereinander, wenn jemand Klage hat wider den andern; gleichwie der Herr euch vergeben hat, so auch ihr. Über alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit; und der Friede Christi regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in einem Leibe; und seid dankbar.” Kolosser 3,5.7.8.12-15. WA 472.2

Der Brief an die Kolosser enthält wertvolle Lehren für alle, die im Dienste Christi stehen, Lehren, die die Beharrlichkeit bei der Verfolgung eines Zieles und die Erhabenheit des Strebens zeigen, wie sie sich im Leben dessen bekunden, der den Heiland richtig darstellt. Wenn der Gläubige allem absagt, was ihn hindern könnte, auf dem schmalen Pfad zum Himmel voranzukommen, oder was andere von diesem Pfad abzuhalten vermöchte, dann wird sein Alltag von Barmherzigkeit, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und von der Liebe Christi künden. WA 472.3

Wir bedürfen der Kraft, die uns zu einem höheren, reineren und edleren Leben befähigt. Noch denken wir zu viel an die Welt und zu wenig an das Reich Gottes. WA 473.1

Der Christ darf sich in seinen Bemühungen, das von Gott gesteckte Ziel zu erreichen, durch nichts entmutigen lassen. Durch die Gnade und Kraft Christi ist allen sittliche und geistliche Vollkommenheit verheißen. Jesus ist die Quelle der Kraft, der Ursprung des Lebens. Er führt uns zu seinem Wort und reicht uns Blätter vom Baum des Lebens zur Gesundung unserer sündenkranken Seele. Er leitet uns zum Throne Gottes und legt uns ein Gebet in den Mund, das uns in enge Verbindung mit ihm bringt. Um unsertwillen setzt er alle Macht des Himmels in Bewegung. Mit jedem Schritt kommen wir mit seiner unerschöpflichen Kraft in Berührung. WA 473.2

Dem Wachstum derer, die erfüllt werden möchten “mit Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht” (Kolosser 1,9), setzt Gott keine Grenzen. Durch Gebet, Wachsamkeit, Wachstum in der Erkenntnis und Einsicht sollen sie gestärkt werden “mit aller Kraft durch seine herrliche Macht”. Kolosser 1,11. Dadurch werden sie vorbereitet, für andere zu wirken. Der Heiland möchte, daß geläuterte und geheiligte Menschenkinder seine Gehilfen seien. Für diese große Gnade wollen wir ihm danken, da er “euch tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht und uns errettet hat von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes.” Kolosser 1,12.13. WA 473.3

Wie an die Kolosser, schrieb Paulus auch an die Philipper einen Brief, während er sich als Gefangener in Rom befand. Die Philippergemeinde hatte ihm durch Epaphroditus, der von Paulus “mein Gehilfe und Mitstreiter und euer Bote und Helfer für mich” (Philipper 2,25) genannt wird, Gaben gesandt. Während seines Aufenthaltes in Rom war Epaphroditus “todkrank” geworden, wie Paulus schrieb, “aber Gott hat sich über ihn erbarmt; nicht allein aber über ihn, sondern auch über mich, auf daß ich nicht eine Traurigkeit über die andere hätte”. Philipper 2,27. Als die Gläubigen zu Philippi von der Krankheit des Epaphroditus hörten, wurden sie so mit Sorge um ihn erfüllt, daß er zu ihnen zurückzukehren beschloß. Paulus schrieb dazu: “Er hatte nach euch allen Verlangen und war tief bekümmert, darum daß ihr gehört hattet, daß er krank gewesen sei ... Ich sende ihn nun desto eilender, auf daß ihr ihn sehet und wieder fröhlich werdet und ich auch weniger Traurigkeit habe. So nehmet ihn nun auf in dem Herrn mit allen Freuden und habt solche Leute in Ehren. Denn um des Werkes Christi willen ist er dem Tode so nahe gekommen, da er sein Leben gering achtete, um mir zu dienen an eurer Statt.” Philipper 2,26.28-30. WA 473.4

Durch Epaphroditus sandte Paulus den Gläubigen zu Philippi einen Brief, in dem er ihnen für die übermittelten Gaben dankte. Mehr als alle anderen Gemeinden hatten die Philipper in freigebiger Weise für den Unterhalt des Paulus gesorgt. “Ihr aber von Philippi wißt”, schrieb der Apostel in seinem Brief, “daß von Anfang meiner Predigt des Evangeliums an, als ich auszog aus Mazedonien, keine Gemeinde mit mir Gemeinschaft gehabt hat im Geben und Nehmen als ihr allein. Denn auch nach Thessalonich sandtet ihr für meinen Bedarf einmal und danach noch einmal. Nicht, daß ich das Geschenk suche; sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich zugerechnet werde. Denn ich habe alles und habe überflüssig. Ich habe die Fülle, da ich empfing durch Epaphroditus, was von euch kam: ein lieblicher Geruch, ein angenehmes Opfer, Gott gefällig.” Philipper 4,15-18. WA 474.1

“Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke — welches ich allezeit tue in allem meinem Gebet für euch alle und tue das Gebet mit Freuden —, für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage an bis hierher und bin desselben in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wid’s auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi. Wie es mir denn billig ist, daß ich so von euch allen denke. Denn ich habe euch in meinem Herzen, die ihr alle mit mir der Gnade teilhaftig seid in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verantworte und bekräftige. Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt vom Herzensgrund in der Liebe Jesu Christi. Und ich bete darum, daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, daß ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf daß ihr seid lauter und unanstößig auf den Tag Christi, erfüllt mit Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus geschaffen wird zu Gottes Ehre und Lob.” Philipper 1,2-11. WA 474.2

Die Gnade Gottes stärkte Paulus in seiner Gefangenschaft und gab ihm die Möglichkeit, sich selbst in der Trübsal zu freuen. Voller Glauben und Zuversicht schrieb er seinen Brüdern zu Philippi, daß auch seine Gefangenschaft zur Förderung des Evangeliums gedient habe. “Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder: wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten. Denn daß ich meine Fesseln für Christus trage, das ist in dem ganzen Richthause und bei den andern allen offenbar geworden, und viele Brüder in dem Herrn haben aus meiner Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind desto kühner geworden, Gottes Wort zu reden ohne Scheu.” Philipper 1,12-14. WA 475.1

Diese Erfahrung des Apostels birgt auch für uns eine Lehre; denn sie offenbart, wie Gott wirkt. Der Herr kann in Sieg verwandeln, was uns wie Mißerfolg und Niederlage erscheint. Wir stehen in Gefahr, Gott zu vergessen und nur auf das Sichtbare zu blicken, anstatt im Glauben auf das Unsichtbare zu schauen. Bricht Unglück oder Mißgeschick über uns herein, so sind wir schnell dabei, Gott zu beschuldigen, daß er uns vernachlässige oder grausam sei. Hält er es für angebracht, unsere Brauchbarkeit in irgendeiner Hinsicht zu beschneiden, so klagen wir nur darüber, ohne zu bedenken, daß Gott auch auf diese Weise zu unserem Besten wirken könnte. Wir müssen lernen, daß die Züchtigung ein Teil des großen göttlichen Planes ist und daß der von Trübsal geschlagene Christ zuweilen mehr für seinen Meister zu tun vermag, als wenn er sonst für ihn wirkt. WA 475.2

Paulus wies die Philipper auf den beispielhaften Wandel Jesu Christi hin, “welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, nahm er’s nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.” Philipper 2,6-8. WA 476.1

“Also, meine Lieben”, fuhr er dann fort, “wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, so seid es nicht allein in meiner Gegenwart, sondern nun auch vielmehr in meiner Abwesenheit und schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott it’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, zu seinem Wohlgefallen. Tut alles ohne Murren und ohne Zweifel, auf daß ihr seid ohne Tadel und lauter, Gottes Kinder, unsträflich mitten unter einem verderbten und verkehrten Geschlecht, unter welchem ihr scheinet als Lichter in der Welt, dadurch daß ihr haltet an dem Wort des Lebens, mir zum Ruhm an dem Tage Christi, daß ich nicht vergeblich gelaufen bin noch vergeblich gearbeitet habe.” Philipper 2,12-16. WA 476.2

Diese Worte sind niedergeschrieben worden, um jeder kämpfenden Seele eine Hilfe zu sein. Paulus weist nicht nur auf die Vollkommenheit als dem Ziel hin, sondern zeigt auch, wie es erreicht werden kann. “Schaffet”, ermahnt der Apostel, “daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern. Denn Gott it’s, der in euch wirkt.” WA 476.3

Das Werk der Erlösung besteht aus partnerschaftlichem, gemeinsamem Wirken, einem Zusammenwirken zwischen Gott und dem reumütigen Sünder. Das ist unerläßlich für die Bildung einer rechten Charakterhaltung. Der Mensch muß sich ernstlich bemühen, das zu überwinden, was ihn hindern könnte, die Vollkommenheit zu erreichen. Das Gelingen aber hängt ganz und gar von Gott ab. Menschliche Anstrengungen reichen niemals aus. Ohne den Beistand der göttlichen Kraft sind sie nutzlos. Gott und Mensch müssen zusammenwirken. Der Versuchung zu widerstehen, ist Sache des Menschen; die Kraft dazu muß er aber von Gott nehmen. So stehen auf der einen Seite Gottes unbegrenzte Weisheit, sein Mitleid und seine Macht, auf der anderen Seite sind menschliche Schwäche, Sündhaftigkeit und völlige Hilflosigkeit. WA 477.1

Gott möchte, daß wir die Herrschaft über uns selbst erlangen. Aber ohne unsere Bereitschaft, mit ihm zusammenzuwirken, kann er uns nicht helfen. Gottes Geist wirkt durch die dem Menschen verliehenen Kräfte und Fähigkeiten. Von uns aus sind wir nicht imstande, unsere Pläne, Wünsche und Neigungen mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu bringen. Sind wir aber bereit, uns willig machen zu lassen, dann wird der Heiland dies für uns vollbringen. “Wir zerstören damit Anschläge und alles Hohe, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Gedanken unter den Gehorsam Christi.” 2.Korinther 10,5. WA 477.2

Wer einen festen, ausgeglichenen Charakter haben und ein gut ausgeglichener Christ sein will, muß bereit sein, für Christus alles hinzugeben und zu tun; denn der Erlöser nimmt keinen geteilten Dienst an. Täglich muß der Christ lernen, was Übergabe bedeutet. Er muß im Worte Gottes forschen, sich über dessen Bedeutung klar werden und seinen Lehren gehorsam sein. So nur kann er das Ziel christlicher Vollkommenheit erreichen. Tag für Tag hilft Gott ihm, den Charakter so zu vervollkommnen, daß er zur Zeit der letzten Prüfung bestehen kann. Der Gläubige wiederum erbringt täglich neu vor Menschen und Engeln den Beweis, was das Evangelium für gefallene Menschen zu tun vermag. WA 477.3

“Ich schätze mich selbst noch nicht so ein, daß ih’s ergriffen habe”, schrieb Paulus. “Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, das da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.” Philipper 3,13.14. WA 478.1

Viel hatte Paulus getan. Von der Zeit an, da er seinen Treueid Christus geschworen hatte, war sein Leben ein unermüdlicher Dienst. Er reiste von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, verkündigte das Wort vom Kreuz, bekehrte viele zum Evangelium und gründete Gemeinden. Ständig trug er Sorge um sie und schrieb ihnen zu ihrer weiteren Unterweisung viele Briefe. Zeitweilig arbeitete er auch in seinem Handwerk, um sein tägliches Brot zu verdienen. Doch bei all diesen Aufgaben verlor er nie das eine Ziel aus dem Auge: der hohen Berufung nachzujagen. Dieses Ziel hatte er ständig im Blick: Dem treu zu bleiben, der sich ihm vor den Toren von Damaskus offenbart hatte! Nichts konnte ihn von diesem Ziel abbringen. Das Kreuz von Golgatha zu rühmen — das allein begeisterte ihn in seinen Worten und Taten. WA 478.2

Das hohe Ziel, dem Paulus trotz aller Mühsal und Schwierigkeiten nachstrebte, sollte jeden christlichen Mitarbeiter veranlassen, sich rückhaltlos dem Dienst Gottes zu weihen. Mag auch die Welt versuchen, mit ihren Lockungen seine Aufmerksamkeit vom Heiland abzulenken; dennoch gilt es, unbeirrt dem Ziel nachzujagen und der Welt, den Engeln und Menschen zu zeigen, daß die Hoffnung, Gottes Angesicht zu schauen, jede Anstrengung und jedes Opfer wert ist. WA 478.3

Obwohl Paulus ein Gefangener war, ließ er sich doch nicht entmutigen. Wie ein Siegeston durchklingt es die Briefe, die er von Rom aus an die Gemeinden sandte. “Freuet euch in dem Herrn allewege”, schrieb er an die Philipper, “und abermals sage ich: Freuet euch! ... Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden! Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Weiter, liebe Brüder: Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!” Philipper 4,4-8. WA 478.4

“Mein Gott aber wird ausfüllen all euren Mangel nach seinem Reichtum in der Herrlichkeit in Christus Jesus ... Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geiste!” Philipper 4,19.23. WA 479.1