Timotheus wird Evangelist
Hier traf Paulus erneut mit Timotheus zusammen, der am Ende seines ersten Besuchs in Lystra Zeuge seiner Steinigung gewesen war. Das Ereignis damals hatte einen tiefen Eindruck bei dem jungen Mann hinterlassen, sodass er schließlich davon überzeugt war, es sei seine Pflicht, sich völlig dem Predigtdienst zu widmen. Er fühlte sich mit Paulus herzlich verbunden und sehnte sich danach, am Dienst des Apostels als Helfer Anteil zu haben, wenn sich eine Gelegenheit dazu böte.GNA 125.2
Silas, der Gefährte des Paulus, war ein bewährter Missionsarbeiter, der mit der Gabe der Prophetie ausgerüstet war. Aber die Arbeit, die getan werden musste, war so umfangreich, dass es dringend notwendig wurde, noch weitere Kräfte für den Missionsdienst heranzubilden. In Timotheus erkannte Paulus jemanden, der die Heiligkeit des Predigtdienstes zu würdigen wusste, der vor der Aussicht auf Leiden und Verfolgung nicht zurückschreckte und bereit war, sich auch etwas sagen zu lassen. Doch wollte es Paulus nicht verantworten, den unerfahrenen jungen Mann für den Evangeliumsdienst auszubilden, ohne sich letzte Gewissheit über seinen Charakter und sein Vorleben verschafft zu haben.GNA 125.3
Timotheus hatte einen griechischen Vater und eine jüdische Mutter. Er kannte die Heilige Schrift von klein auf. In seinem Elternhaus erlebte er eine reine und praktische Frömmigkeit. Der Glaube seiner Mutter und seiner Großmutter an die Verheißungen Christi erinnerte ihn ständig daran, dass auf dem Befolgen des Willens Gottes ein Segen liegt. Das Wort Gottes war die Richtschnur, nach der die beiden gläubigen Frauen den Jungen erzogen hatten. Die geistliche Kraft, die er durch ihre Erziehung gewonnen hatte, hielt ihn in seiner Sprache rein und schützte ihn vor den schlimmen Einflüssen seiner Umgebung. So hatten ihn seine Erzieherinnen bereits im Heim zusammen mit Gott darauf vorbereitet, eines Tages Verantwortungen zu tragen.GNA 125.4
Paulus sah, dass Timotheus gläubig, standhaft und aufrichtig war, und erwählte ihn zu seinem Mitarbeiter und Reisegefährten. Die beiden Frauen, die Timotheus in seiner Kindheit unterrichtet hatten, erlebten nun voller Befriedigung die enge Gemeinschaft zwischen ihrem Kind und dem großen Apostel. Timotheus war noch sehr jung, als Gott ihn zum Lehrer erwählte, aber durch seine Erziehung von frühester Kindheit an war er in seinen Grundsätzen schon so gefestigt, dass er sich für den Apostel als Helfer eignete. Und obwohl er noch jung war, trug er seine Verantwortung mit christlicher Sanftmut.GNA 125.5
Als weise Vorsichtsmaßnahme empfahl Paulus dem Timotheus, sich beschneiden zu lassen, nicht weil Gott dies gefordert hätte, sondern um eventuellen Einwänden der Juden gegen eine Mitarbeit des Timotheus von vornherein zu begegnen. Bei seiner Tätigkeit würde Paulus von Stadt zu Stadt und in verschiedene Länder reisen. Oft würde er Gelegenheit haben, in jüdischen Synagogen oder an anderen Versammlungsstätten Christus zu verkündigen. Falls dabei bekannt würde, dass einer seiner Mitarbeiter unbeschnitten war, hätte das Vorurteil und die Scheinfrömmigkeit der Juden sein Wirken ernsthaft beeinträchtigen können. Überall stieß der Apostel auf entschiedenen Widerstand und harte Verfolgung. Er wollte aber nicht nur den Heiden, sondern auch seinen jüdischen Brüdern das Evangelium weitergeben. Er versuchte deshalb, jeden Vorwand zum Widerspruch zu beseitigen, solange sich dies mit den Glaubensgrundsätzen vereinbaren ließ. Während er dem jüdischen Vorurteil insoweit Rechnung trug, glaubte und lehrte er jedoch, dass Beschnittensein und Unbeschnittensein nichts, das Evangelium Christi hingegen alles bedeutet.GNA 125.6
Paulus liebte Timotheus, seinen “rechten Sohn im Glauben”. (1.Timotheus 1,2). Oft nahm der große Apostel seinen jüngeren Schüler beiseite und versicherte sich durch Fragen, inwieweit der junge Mann mit der biblischen Heilsgeschichte vertraut war. Und wenn sie von Ort zu Ort zogen, unterwies er ihn gründlich, wie man erfolgreich arbeitet. Paulus wie auch Silas bemühten sich in ihrem gesamten Umgang mit Timotheus, seine bereits gewonnene Überzeugung von der Heiligkeit und Ernsthaftigkeit des Wirkens eines Evangeliumspredigers zu vertiefen.GNA 126.1
Timotheus suchte seinerseits bei Paulus ständig Rat und Anweisungen für seine eigene Arbeit. Er ließ sich nicht von plötzlichen Impulsen leiten, sondern handelte ruhig und überlegt. Vor jeder Entscheidung fragte er sich: Ist das der Weg des Herrn? Er ließ sich durch den Heiligen Geist zu einem Tempel formen, in dem Gott wohnen konnte.GNA 126.2