Anhang B: Typische Ansprachen Ellen G. Whites über das Thema Mäßigkeit
In Christiana, Norwegen — 1886
Am Sonntag sprach ich über das Thema Mäßigkeit, weil mich der Präsident des Abstinenzvereins darum gebeten hatte. Die Veranstaltung wurde in der Militärsporthalle abgehalten, dem größten Saal der Stadt. Sie hatten die amerikanische Flagge als Baldachin über dem Sprechpult angebracht, und ich freute mich sehr über diese nette Geste. Ungefähr 1.600 Leute waren zusammengekommen, darunter auch der Bischof der Staatskirche sowie etliche Geistliche. Ein großer Teil der Zuhörer gehörte der besseren Gesellschaft an.TH 293.1
Der Einstieg
Ich ging vom religiösen Standpunkt an das Thema heran und zeigte auf, daß die Bibel angefüllt ist mit historischen Zeugnissen hinsichtlich der Mäßigkeit und daß Christus von Anfang an mit dem Werk der Lebensreform verbunden war. Schließlich haben unsere Ureltern gesündigt, weil sie ihre Eßlust nicht bezähmen konnten. Christus aber machte das Versagen der Menschen wieder gut.TH 293.2
Obwohl er in der Wüste heftig versucht wurde, bestand er die Prüfung, in der der Mensch versagt hatte. Während er schlimme Hungerqualen litt und vom Fasten schwach und ausgezehrt war, griff ihn Satan mit verschiedenen Versuchungen an. Er wollte die Schwäche des Gottessohnes ausnutzen, ihn so besiegen und dadurch den Erlösungsplan vereiteln. Christus aber blieb standhaft. Er überwand, um die Menschheit aus der Entwürdigung der Sünde zu erlösen. Er zeigte, daß es uns durch seine Kraft ebenfalls möglich ist, zu überwinden. Jesus hat Mitgefühl mit der Schwachheit der Menschen. Er kam auf diese Erde und brachte uns die seelisch-moralische Kraft, die es uns möglich macht, zu siegen, wie stark die Leidenschaft oder die Genußsucht auch sein mag.TH 293.3
Wir können siegen, weil wir die Kraft Gottes zur Verfügung haben, die sich mit unseren schwachen Bemühungen vereint. Wer zu Christus flieht, wird am Tag der Versuchung eine Zuflucht haben.TH 294.1
Die Warnung der biblischen Geschichte
Ich zeigte, wie wichtig Selbstbeherrschung in den Lebensgewohnheiten ist, indem ich Warnungen und Beispiele aus der biblischen Geschichte anführte. Nadab und Abihu waren Männer in heiliger Stellung; weil sie Wein tranken, waren sie nicht mehr klar im Kopf und konnten nicht mehr zwischen heiligen und gewöhnlichen Dingen unterscheiden. Indem sie “fremdes Feuer” darbrachten, mißachteten sie Gottes Befehl und wurden deshalb gerichtet.TH 294.2
Durch Mose verbot der Herr allen, die im Priesterdienst standen, ausdrücklich den Konsum von Wein und starkem Getränk, damit sie zwischen heilig und profan unterscheiden konnten und fähig waren, Gottes Gebote in der rechten Weise zu lehren. Alkohol schwächt den Körper, schädigt den Verstand, beeinträchtigt die seelische Kraft und stumpft das Gewissen ab.TH 294.3
Alle Personen in verantwortungsvollen Positionen mußten konsequent enthaltsam und selbstbeherrscht leben, damit sie einen klaren Verstand hatten, um zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, aber auch feste Grundsätze und Weisheit, um gerecht zu urteilen und barmherzig zu handeln.TH 294.4
Dieses konkrete und ernste Gebot sollte von einer Generation zur anderen weitergegeben werden bis zum Ende der Zeit. In unseren Gerichtshöfen und Parlamenten, aber auch in unseren Schulen und Kirchen brauchen wir grundsatztreue Männer, die sich beherrschen können und ein klares Urteilsvermögen sowie gesunden Menschenverstand besitzen. Wie kann ein Richter gerecht urteilen, wenn er keinen klaren Kopf und selbst keine festen Grundsätze hat? Er disqualifiziert sich selbst, da er zu keiner vernünftigen Beweisführung und gerichtlichen Untersuchung mehr fähig ist. Er besitzt nicht mehr die sittliche Kraft, jederzeit unparteiisch und unbestechlich zu sein. So kann es passieren, daß ein Mensch unschuldig hingerichtet oder seiner Freiheit beraubt wird, so daß schließlich sein guter Ruf und sogar sein Leben ruiniert sind.TH 294.5
Gott gestattet nicht, daß Menschen, denen er die Verantwortung als Lehrer oder Führer eines Volkes anvertraut hat, sich auf diese Weise hinsichtlich ihrer wichtigen Pflichten disqualifizieren.TH 295.1
Anweisung an Manoah und Zacharias
Aus den Anweisungen, die Gott der Frau des Manoah und Zacharias, dem Vater des Täufers Johannes, gab, können Eltern lernen.TH 295.2
Der Engel des Herrn brachte die gute Nachricht, daß dem Manoah ein Sohn geboren werden sollte, der Israel befreien würde. Und als Antwort auf die besorgte Frage: “Wie sollen wir das Kind erziehen, wie sollen wir mit ihm umgehen?” gab der Engel der Mutter besondere Anweisungen: “Sie soll nicht essen, was vom Weinstock kommt, und soll keinen Wein oder starkes Getränk trinken und nichts Unreines essen; alles, was ich ihr geboten habe, soll sie halten.” Richter 13,14.TH 295.3
Durch die Gewohnheiten seiner Mutter kann ein Kind positiv oder negativ beeinflußt werden. Sie muß sich von Grundsätzen leiten lassen sowie maßvoll leben und auch verzichten können, wenn ihr das Wohlergehen ihres Kindes am Herzen liegt.TH 295.4
Väter sind gleichermaßen in diese Verantwortung einbezogen. Beide Eltern vererben ihren Kindern ihre geistigen und seelischen Eigenschaften, ihre körperliche Veranlagung, ihren Gesundheitszustand und ihre Neigungen. Als Ergebnis der elterlichen Unmäßigkeit mangelt es den Kindern oft an körperlicher Stärke sowie an geistiger und seelischer Kraft.TH 295.5
Alkoholiker und Raucher vererben das Verlangen nach ihren Suchtmitteln, ihr ungesundes Blut und ihre reizbaren Nerven als trauriges Vermächtnis an ihre Kinder. Und da die Kinder noch weniger Widerstandskraft gegen Versuchungen besitzen als die Eltern, fällt jede Generation tiefer als die vorherige.TH 295.6
Die Frage jedes Vaters, jeder Mutter sollte sein: “Wie sollen wir mit dem Kind, das uns geboren wird, umgehen?” Viele neigen dazu, leichtfertig mit dieser Frage umzugehen. Aber die Tatsache, daß ein Engel vom Himmel zu diesen hebräischen Eltern gesandt wurde und ihm zweimal dieselbe Anweisung gab, und zwar ausdrücklich und ernst, zeigt, daß Gott diese Frage als sehr wichtig ansieht.TH 296.1
Als der Engel Gabriel dem Zacharias erschien, um ihm die Geburt Johannes des Täufers vorherzusagen, lautete seine Botschaft: “Denn er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird schon von Mutterleib an erfüllt werden mit dem heiligen Geist.” Lukas 1,15.TH 296.2
Gott hatte dieses verheißene Kind für eine große Aufgabe auserwählt, eine Aufgabe, die eigenständiges Denken und mutiges Handeln erforderte. Es mußte körperlich gesund sein und geistige sowie seelische Stärke besitzen, und um dies zu gewährleisten, sollten ihm von Anfang an gute Gewohnheiten anerzogen werden.TH 296.3
Die ersten Schritte zur Unmäßigkeit werden oft schon in der Kindheit und in der frühen Jugend getan. Deshalb ist es wichtig, die Eltern über ihre diesbezügliche Verantwortung aufzuklären. Wer Wein und Bier auf den Tisch stellt, kultiviert in den Kindern das Bedürfnis nach starken Getränken. Wir drängen darauf, daß die Grundsätze der Mäßigkeit in alle Bereiche des Familienlebens hineingetragen werden, damit die Eltern durch ihr Vorbild ihre Kinder Selbstbeherrschung und Verzichtsbereitschaft lehren und nachdrücklich anerziehen, und dies, soweit möglich, schon von Geburt an.TH 296.4
Die Jugend ist die zukünftige Gesellschaft
Die Jugend von heute ist die Gesellschaft der Zukunft. Aus ihr gehen die zukünftigen Lehrer, Gesetzgeber und Richter, die Führer und Politiker hervor, die den Charakter und das Schicksal eines Volkes bestimmen.TH 296.5
Wie verantwortungsvoll ist unter solchen Gesichtspunkten die Aufgabe von Eltern und Erziehern, die Lebensgewohnheiten der Kinder in rechte Bahnen zu lenken! Dadurch wird das Leben künftiger Generationen beeinflußt. Menschenseelen zu formen ist die verantwortungsvollste Aufgabe, die Menschen übertragen werden kann. Die Zeit der Eltern ist viel zu kostbar, um sie für die Befriedigung der Genußsucht oder den Erwerb von Reichtum modischer Kleidung zu vergeuden. Gott hat ihnen wertvolle junge Menschen anvertraut, nicht nur, damit sie sie dazu erziehen, in diesem Leben einen sinnvollen Platz auszufüllen, sondern damit sie auch für den Himmel zubereitet werden. Wir dürfen das zukünftige Leben nie aus den Augen verlieren und sollten so handeln, daß wir an den Toren des Paradieses einmal sagen können: “Hier bin ich, Herr, und hier sind die Kinder, die du mir anvertraut hast.”TH 296.6
Aber die Jugendlichen müssen bezüglich der Mäßigkeit auch selbst Entscheidungen treffen, die ihnen niemand abnehmen kann. Obwohl die Eltern für die Erziehung, die Ausbildung und die Prägung des Charakters ihrer Söhne und Töchter verantwortlich sind, ist es dennoch wahr, daß unsere Stellung und unsere Brauchbarkeit in dieser Welt zum großen Teil von unserer eigenen Handlungsweise abhängen.TH 297.1
Daniel ist ein gutes Beispiel
Nirgendwo finden wir eine derart ausführliche und beeindruckende Illustration echter Mäßigkeit und der daraus folgenden Vorteile wie in der Geschichte vom jungen Daniel und seinen Gefährten am Hof von Babylon. Als sie ausgewählt wurden, um in den Wissenschaften und der Sprache der Chaldäer unterrichtet zu werden und am Hof des Königs zu dienen, war auch vorgesehen, daß sie mit Nahrung und Wein vom königlichen Hof versorgt würden. “Aber Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, daß er sich mit des Königs Speise und mit seinem Wein nicht unrein machen wollte.” Daniel 1,8.TH 297.2
Diese jungen Männer wollten nicht nur auf den Wein des Königs verzichten, sondern auch auf die Leckereien der Königstafel. Sie gehorchten den Geboten Gottes, und zwar sowohl den Naturgesetzen als auch dem Sittengesetz. Ihre Entschlossenheit, ihr Fleiß und ihre Standhaftigkeit, aber nicht zuletzt auch ihre konsequenten Eßgewohnheiten erwiesen sich in der Folgezeit als der richtig Kurs.TH 297.3
Gott schätzt jederzeit das Rechte. Aus den Ländern, die er unterwarf, holte der große Eroberer die vielversprechendsten jungen Menschen an seinen Hof in Babylon, aber unter ihnen allen waren die hebräischen Gefangenen ohne Konkurrenz. Ihre aufrechte Haltung, ihr fester, geschmeidiger Gang, ihre reinen, schönen Gesichter, die erkennen ließen, daß ihr Blut nicht verunreinigt war, ihr klarer Verstand und ihr frischer Atem zeugten von ihren guten Gewohnheiten und einem natürlichen Adel, mit dem man belohnt wird, wenn man den Gesetzen Gottes gehorcht.TH 297.4
Und als ihre Fähigkeiten und Leistungen vom König am Ende der dreijährigen Ausbildungszeit geprüft wurden, fand sich keiner, der so war wie Daniel, Hanania, Misael und Asaria. Ihre schnelle Auffassungsgabe, ihre gewählte und exakte Ausdrucksweise sowie ihr gründliches und umfassendes Wissen waren Anzeichen einer beispiellosen Geistesstärke.TH 298.1
Die Geschichte von Daniel und seinen Freunden wurde im inspirierten Wort Gottes festgehalten, damit die Jugend aller Zeiten daraus lernen kann. Wer seine Kräfte ungeteilt für den Dienst Gottes bewahren möchte, muß konsequent maßvoll und selbstbeherrscht mit Gottes guten Gaben umgehen und gegen alle schädlichen und erniedrigenden Schwächen ankämpfen. Was Daniel und seine Freunde damals geschafft haben, ist auch heute möglich.TH 298.2
Blieben diese treuen Hebräer inmitten starker Versuchungen standhaft? Legten sie ein heldenhaftes Zeugnis zugunsten echter Mäßigkeit ab? Die Jugend von heute kann ein ähnliches Zeugnis geben, sogar unter ungünstigen Umständen. Wie schön wäre es doch, wenn sie dem Beispiel dieser jungen Hebräer folgen würden, denn alle, die sich darum bemühen, stehen unter dem Segen Gottes.TH 298.3
Geld, das viel Gutes bewirken könnte
Es gibt noch einen anderen Aspekt der Mäßigkeitsfrage, der gründlich überdacht werden sollte. Der Konsum von unnatürlichen Aufputschmitteln ist nicht nur unnütz und gefährlich, sondern auch extravagant und verschwenderisch. Eine immense Summe wird auf diese Weise jedes Jahr zum Fenster hinausgeworfen.TH 298.4
Das Geld, das für Tabak ausgegeben wird, könnte sämtliche Missionsstationen der Welt finanzieren. Die Mittel, die für Alkohol mehr als verschwendet sind, könnten für die Ausbildung von Jugendlichen, die jetzt noch in ein Leben der Unwissenheit und des Verbrechens abdriften, ausgegeben werden, und sie könnten Großes für Gott leisten. Tausende und Abertausende von Eltern, die ihren Verdienst zur Befriedigung ihrer eigenen egoistischen Wünsche ausgeben, rauben ihren Kindern Nahrung und Kleidung sowie die Vorteile einer guten Ausbildung, und unzählige sogenannte Christen ermutigen durch ihr negatives Beispiel zu einem solchen Verhalten. Wie werden sie einmal vor Gott Rechenschaft ablegen können für die Verschwendung seiner Gaben?TH 298.5
Geld ist eine der Gaben, die uns anvertraut wurden, um die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, den Problembeladenen zu helfen und den Armen das Evangelium zu bringen. Doch wie sehr werden diese Aufgaben vernachlässigt! Wenn der Meister kommt und mit seinen Knechten abrechnet, wird er dann nicht zu vielen sagen: “Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan”? Matthäus 25,45.TH 299.1
Überall gibt es viel zu tun für Gott. Unsere Mittel, unsere Zeit, unsere Kraft und unser Einfluß sind gefragt. Wollen wir dieses Werk anpacken und so leben, daß Gott dadurch verherrlicht und unseren Mitmenschen geholfen wird? Wollen wir am Reich Gottes auf dieser Erde mitbauen?TH 299.2
Wir brauchen heute Männer wie Daniel, Männer, die über genügend Selbstbeherrschung und Mut zu einer gründlichen Veränderung ihres Lebensstils verfügen. Jeder Christ sollte sich mit seiner Haltung und seinem Einfluß eindeutig zur Lebensreform bekennen.TH 299.3
Die Prediger des Evangeliums müssen die Menschen darauf aufmerksam machen, und wir alle sollten daran denken, daß unser Glück in dieser und der kommenden Welt davon abhängt, inwieweit wir in rechter Weise zur Verbesserung dieser Welt beitragen. Historical Sketches of SDA, Foreign Missions 207-211.TH 299.4