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Erziehung

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    Kapitel 27: Gutes Benehmen

    “Die Liebe stellet sich nicht ungebärdig.”

    Der Wert der Höflichkeit wird zu wenig geschätzt. Manchen, die ein gütiges Herz haben, fehlt die freundliche Art. Viele Menschen, deren Aufrichtigkeit und Gradheit Achtung abnötigen, legen einen bedauerlichen Mangel an Liebenswürdigkeit an den Tag. Dieser Mangel trübt ihr eigenes Glück und beeinträchtigt ihren Dienst für andere. Der Unhöfliche opfert vielfach aus bloßer Gedankenlosigkeit ein gut Teil der schönsten und nutzbringendsten Lebenserfahrungen.Ez54 221.3

    Heiterkeit und Höflichkeit sollten besonders von Eltern und Lehrern gepflegt werden. Bei allen können eine frohe Miene, eine milde Stimme und höfliche Umgangsformen zu finden sein; diese üben einen starken Einfluß aus. Kinder werden durch ein heiteres, sonniges Wesen angezogen. Sei freundlich und höflich gegen sie, und sie werden dir und andern gegenüber denselben Geist offenbaren.Ez54 222.1

    Wahre Höflichkeit erlernt sich nicht durch die bloße Befolgung von Anstandsregeln. Ein schickliches Benehmen ist freilich immer angebracht; überall dort, wo die Grundsatztreue nicht verletzt wird, führt die Rücksicht auf den andern dazu, daß man geltende Sitten befolgt; doch wahre Höflichkeit erfordert nicht, daß man dem allgemeinen Brauch einen Grundsatz opfert. Sie kennt keine Kaste. Sie lehrt Selbstachtung, Achtung vor der Menschenwürde und Rücksicht auf jedes Glied der großen menschlichen Bruderschaft.Ez54 222.2

    Es besteht die Gefahr, daß man zuviel Wert auf Manieren und bloße Form legt und auf die Aneignung dieser Dinge zuviel Zeit verwendet. Das von jedem Jugendlichen geforderte Leben eifrigen Strebens, die harte, oft unangemessene Arbeit, die schon zur Erfüllung der Alltagspflichten erforderlich sind und mehr noch, wenn es gilt, die schwere Weltbürde der Unwissenheit und des Elends zu erleichtern, lassen wenig Raum für Förmlichkeiten.Ez54 222.3

    Viele, bei denen die Etikette hoch im Kurs steht, haben wenig übrig für alles, was ihren künstlichen Maßstäben nicht entspricht, so hervorragend es auch sein mag. Das ist eine falsche Erziehung. Sie nährt den kritiksüchtigen Stolz und engherzige Eigenbrötelei.Ez54 222.4

    Das Wesen wahrer Höflichkeit ist Rücksicht auf den andern. Die eigentliche, bleibende Erziehung stärkt das Mitgefühl und hält zur Freundlichkeit gegen jedermann an. Jene sogenannte Bildung, die einen Jugendlichen nicht ehrerbietig gegen seine Eltern macht, so daß er ihre Vorzüge schätzt, ihre Mängel geduldig trägt und ihre Bedürfnisse befriedigt, ist ein Fehlschlag. Was ihn nicht rücksichtsvoll, zartfühlend, weitherzig und hilfsbereit gegen Junge, Alte und Unglückliche und nicht höflich gegen alle Welt sein läßt, ist umsonst gewesen.Ez54 222.5

    Wirklichen Adel des Denkens und der Gesittung eignet man sich besser in der Schule des göttlichen Lehrmeisters an als durch die Beachtung feststehender Regeln. Wenn seine Liebe das Herz durchdringt, gibt sie dem Charakter jenen edlen Schliff, der ihn nach seinem Bilde formt. Diese Erziehung verleiht eine Würde und ein Schicklichkeitsgefühl himmlischen Ursprungs. Sie verhilft zu jener Herzenswärme und Zartheit im Benehmen, an die das oberflächliche Getue der eleganten Gesellschaft niemals herankann.Ez54 223.1

    Die Bibel fordert zur Höflichkeit auf und liefert viele Beispiele für die selbstlose Gesinnung, den zarten Anstand und die gewinnende Art, die das Wesen wahrer Gesittung ausmachen. Das alles ist ja doch nur ein Widerschein des Charakters Christi. Alles echte Zartgefühl, alle wirkliche Höflichkeit in der Welt, selbst bei denen, die seinen Namen nicht anerkennen, stammen von ihm. Und er möchte, daß sich diese Merkmale in seinen Kindern vollkommen widerspiegeln. Seine Absicht ist, daß die Menschen in uns seine Schönheit schauen.Ez54 223.2

    Die wertvollste Abhandlung über gutes Verhalten, die jemals abgefaßt wurde, findet sich in der kostbaren Unterweisung, die der Erlöser durch den Heiligen Geist über den Apostel Paulus — gab Worte, die jedem Menschen, ob jung oder alt, unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt werden sollten: “... auf daß auch ihr einander liebhabet”, “wie ich euch geliebt habe.” Johannes 13,34.Ez54 223.3

    “Die Liebe ist langmütig und freundlich,
    Die Liebe eifert nicht,
    Die Liebe treibt nicht Mutwillen,
    Sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig,
    Sie suchet nicht das Ihre,
    Sie läßt sich nicht erbittern,
    Sie rechnet das Böse nicht zu,
    Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit,
    Sie freuet sich aber der Wahrheit;
    Sie verträgt alles,
    Sie glaubet alles,
    Sie hoffet alles,
    Sie duldet alles.
    Die Liebe höret nimmer auf.” 1.Korinther 13,4-8.
    Ez54 223.4

    Eine andere köstliche Tugend, die sorgfältig gepflegt werden sollte, ist Ehrfurcht. Wahre Ehrfurcht vor Gott wird durch die Erkenntnis seiner unendlichen Größe und durch das Bewußtsein seiner Gegenwart in uns geweckt. Mit dieser Haltung zu dem Unsichtbaren müßte man jedes Kinderherz zutiefst erfüllen. Dem Kind sollte eingeprägt werden, die Stunde und den Ort des Gebetes sowie die öffentlichen Gottesdienste als heilig zu betrachten, weil Gott dabei gegenwärtig ist. Wenn man in Haltung und Benehmen Ehrfurcht bekundet, vertieft sich das Gefühl, aus dem sie gespeist wird.Ez54 224.1

    Es wäre gut für alt und jung, jene Worte der Heiligen Schrift zu betrachten, zu erwägen und öfters zu wiederholen, welche zeigen, wie der durch Gottes besondere Gegenwart gekennzeichnete Ort angesehen werden sollte. “Zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen”, befahl der Herr Mose beim brennenden Busch, “denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land!” 2.Mose 3,5.Ez54 224.2

    Nachdem Jakob das Gesicht von den Engeln gesehen hatte, rief er aus: “Gewiß ist der Herr an diesem Ort, und ich wußte es nicht ... Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.” 1.Mose 28,16.17.Ez54 224.3

    “Der Herr ist in seinem heiligen Tempel. Es sei vor ihm still alle Welt!” Habakuk 2,20.Ez54 224.4

    “Der Herr ist ein großer Gott
    Und ein großer König über alle Götter ... Kommt, laßt uns anbeten und knien
    Und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat.”
    Ez54 224.5

    “Er hat uns gemacht — und nicht wir selbst —
    Zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
    Gehet zu seinen Toren ein mit Danken,
    Zu seinen Vorhöfen mit Loben;
    Danket ihm, lobet seinen Namen!” Psalm 95,3-6; Psalm 100,3.4.
    Ez54 225.1

    Auch den Namen Gottes sollte man nur ehrerbietig nennen; nie darf er leichtfertig oder gedankenlos ausgesprochen werden. Sogar im Gebet sollte man seine häufige oder unnötige Wiederholung vermeiden. “Heilig und hehr ist sein Name.” Psalm 111,9. Engel verhüllen ihr Angesicht, wenn sie ihn aussprechen. Mit welcher Ehrerbietung sollten wir, die wir gefallen und sündig sind, ihn auf unsere Lippen nehmen!Ez54 225.2

    Wir sollten das Wort Gottes mit Ehrfurcht behandeln. Dem gedruckten Wort Gottes müssen wir Achtung bezeugen, indem wir es niemals wie ein alltägliches Ding benutzen oder achtlos damit umgehen. Nie darf eine Schriftstelle im Scherz angeführt oder umschrieben werden, um eine witzige Bemerkung zu machen. “Alle Worte Gottes sind durchläutert”, sie sind “wie durchläutert Silber im irdenen Tiegel, bewähret siebenmal”. Sprüche 30,5; Psalm 12,7.Ez54 225.3

    Vor allem sollte den Kindern nahegebracht werden, daß sich wahre Ehrerbietung im Gehorsam zeigt. Gott hat nichts Unwesentliches geboten, und Ehrfurcht tut sich auf keine ihm wohlgefälligere Weise kund, als wenn wir seinen Weisungen gehorchen. Auch den Beauftragten Gottes: Predigern, Lehrern und Eltern, die berufen sind, an seiner Statt zu sprechen und zu handeln, sollte Ehrerbietung gezollt werden. Durch die Achtung, die man ihnen erweist, wird er geehrt.Ez54 225.4

    Besonders den Alten gegenüber hat Gott zarte Rücksicht geboten. Er sagt: “Graue Haare sind eine Krone der Ehren, die auf dem Wege der Gerechtigkeit gefunden wird.” Sprüche 16,31. Sie erzählen von durchfochtenen Kämpfen und errungenen Siegen, von der Last, die getragen, und von Versuchungen, denen widerstanden wurde. Sie weisen auf matte Füße hin, die ihrer Ruhe nahe sind, auf Lücken, die bald entstehen werden. Das rufe man den Kindern ins Bewußtsein; dann werden sie den Pfad der Alten durch ihre Höflichkeit und Achtung ebnen. Anmut und Schönheit werden ihr junges Leben zieren, wenn sie das Gebot beachten: “Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren.” 3.Mose 19,32.Ez54 225.5

    Es tut not, daß Väter, Mütter und Lehrer die Verantwortung mehr schätzen und würdigen, die Gott auf sie legte, denn er hat sie dem Kinde gegenüber zu seinen Stellvertretern gemacht. Ihr Charakter, der sich im täglichen Umgang offenbart, ist dem Kinde im guten wie im schlechten Sinne eine Auslegung jener Gottesworte: “Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten.” Psalm 103,13. “Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.” Jesaja 66,13.Ez54 226.1

    Glücklich das Kind, in dem solche Worte Liebe, Dankbarkeit und Vertrauen wecken, dem die Milde, die Rechtlichkeit und die Geduld von Vater, Mutter und Lehrer die Liebe, Gerechtigkeit und Langmut Gottes darstellen. Wohl ihm, wenn es durch Vertrauen, Unterordnung und Ehrerbietung gegen seine irdischen Beschützer Gott vertrauen, gehorchen und ihn ehren lernt. Wer seinem Kinde oder Schüler solche Gaben vermittelt, übereignet ihm einen Schatz, der kostbarer ist als der Reichtum aller Zeiten einen Hort von Ewigkeitsdauer.Ez54 226.2

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