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Das Wirken der Apostel

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    Kapitel 43: In Rom

    Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 28,11-31; Philemon.

    Als die Schiffahrt wieder aufgenommen werden konnte, setzten der Hauptmann und die Gefangenen ihre Reise nach Rom fort. Ein Schiff von Alexandrien, das “das Zeichen der Zwillinge führte” (Apostelgeschichte 28,11) und auf seiner Fahrt nach Westen bei Malta überwintert hatte, nahm die Schiffbrüchigen an Bord. Zwar wurde man verschiedentlich durch widrige Winde aufgehalten; dennoch konnte die Reise sicher beendet werden. Das Schiff ging in dem schönen Hafen von Puteoli an der italienischen Küste vor Anker.WA 441.1

    Dort lebten einige Christen, die den Apostel einluden, sieben Tage bei ihnen zu bleiben. Der Hauptmann gewährte ihm diese Vergünstigung. Nachdem die Christen in Italien den Brief des Paulus an die Römer erhalten hatten, sahen sie mit Spannung seinem Besuch entgegen. Sie hatten nicht erwartet, ihn als Gefangenen zu sehen; seine Leiden ließen ihre Zuneigung ihm gegenüber jedoch nur noch größer werden. Die Entfernung von Puteoli nach Rom betrug etwa 225 Kilometer. Da zwischen dem Seehafen und der Weltstadt eine ständige Verbindung bestand, erfuhren die römischen Christen bald von der Ankunft des Paulus. Daraufhin zogen ihm einige entgegen, um ihn willkommen zu heißen.WA 441.2

    Acht Tage nach der Landung brach der Hauptmann mit seinen Gefangenen nach Rom auf. Soweit es in seiner Macht stand, gewährte Julius dem Paulus gern jede Erleichterung. An seinem Los als Gefangener konnte er hingegen nichts ändern, auch konnte er ihn nicht von den Fesseln befreien, die den Apostel an den wachhabenden Kriegsknecht banden. Schweren Herzens sah Paulus dem langerwarteten Besuch in der Welthauptstadt entgegen. Wie ganz anders hatte er ihn sich vorgestellt! Wie sollte er als Gebundener und Gezeichneter dort das Evangelium verkündigen? Seine Hoffnung, in Rom viele Menschen für die Wahrheit zu gewinnen, schien völlig zum Scheitern verurteilt.WA 441.3

    Schließlich erreichten die Reisenden Forum Appii, das nur etwa 60 Kilometer von Rom entfernt lag. Während sie sich ihren Weg durch die Menschenmassen auf der großen Verkehrsstraße bahnten, wurde dem ergrauten Apostel, der mit hartgesottenen Verbrechern zusammengekettet war, manch verächtlicher Blick zugeworfen. Er mußte es sich gefallen lassen, Zielscheibe roher Scherze und spöttischer Bemerkungen zu sein.WA 442.1

    Plötzlich aber war ein Freudenschrei zu hören. Aus der Schar der Vorüberdrängenden stürzte ein Mann hervor, fiel dem Gefangenen um den Hals und umarmte ihn unter Freudentränen, so wie ein Sohn nach langer Abwesenheit seinen Vater begrüßt. Dies wiederholte sich mehrmals, denn viele erkannten mit dem von freudiger Erwartung geschärften Blick in dem gefesselten Gefangenen den Mann, der ihnen in Korinth, Philippi und Ephesus die Worte des Lebens verkündigt hatte.WA 442.2

    In herzlicher Liebe scharten sich die Jünger um ihren Vater im Glauben, so daß der ganze Zug zum Stehen gebracht wurde. Zwar wurden die Kriegsknechte wegen der Verzögerung ungeduldig; dennoch brachten sie es nicht über sich, diese freudigen Begegnungen zu unterbrechen, hatten doch auch sie ihren Gefangenen achten und schätzen gelernt. Die Gläubigen sahen in dem abgehärmten, leiddurchfurchten Antlitz den Widerglanz des Bildes Christi. Sie versicherten Paulus, daß sie nicht aufgehört hätten, ihn zu lieben, daß sie ihn nie vergessen würden und daß sie ihm dankbar seien für die freudige Hoffnung, die ihr Leben durchdringe und ihnen Frieden mit Gott verleihe. Wenn es ihnen gestattet worden wäre, hätten sie Paulus am liebsten auf ihren Schultern bis hin zur Stadt getragen.WA 442.3

    Als der Apostel seine Glaubensbrüder sah, “dankte er Gott und gewann Zuversicht”. Apostelgeschichte 28,15. Wenige mögen ermessen, welche Bedeutung diesen Worten des Lukas zukommt. Inmitten der weinenden, mitfühlenden Gläubigen, die sich seiner Fesseln nicht schämten, pries der Apostel Gott mit lauter Stimme. Die Wolke der Traurigkeit, die sein Gemüt bedrückt hatte, war verschwunden. Wohl war sein Christenleben eine ununterbrochene Folge von Anfechtungen, Leid und Enttäuschungen gewesen, doch in dieser Stunde fühlte er sich für alles reichlich entschädigt. Mit festem Schritt und freudigem Herzen setzte er seinen Weg fort. Er wollte weder über die Vergangenheit klagen noch sich vor der Zukunft fürchten. Gefängnis und Trübsal warteten auf ihn, das wußte er. Doch er wußte auch, daß durch ihn Menschen von einer viel schrecklicheren Knechtschaft befreit worden waren. Deshalb freute er sich seiner Leiden um Christi willen.WA 443.1

    In Rom übergab der Hauptmann Julius seine Gefangenen dem Befehlshaber der kaiserlichen Wache. Der gute Bericht, den er über Paulus erstattete, sowie der Brief des Festus bewirkten, daß der Oberhauptmann Paulus wohlwollend beurteilte. Anstatt ihn ins Gefängnis legen zu lassen, erlaubte er ihm, in einem Miethause zu wohnen. Obwohl er weiterhin an einen Kriegsknecht gekettet blieb, durfte er doch jederzeit seine Freunde empfangen und für den Fortgang der Sache Christi wirken.WA 443.2

    Viele Juden, die Jahre zuvor aus Rom verbannt worden waren, hatten die Erlaubnis erhalten, wieder dorthin zurückzukehren und waren nun in großer Zahl dort. Diese wollte Paulus zu allererst über seine Person und über sein Wirken unterrichten, ehe seine Feinde Gelegenheit fanden, sie gegen ihn aufzuwiegeln. So rief er drei Tage nach seiner Ankunft in Rom die leitenden Männer der Juden zusammen und berichtete ihnen schlicht und sachlich, weshalb er als Gefangener nach Rom gekommen war.WA 443.3

    “Ihr Männer, liebe Brüder”, sagte er, “ich habe nichts getan wider unser Volk noch wider väterliche Sitten und bin doch als Gefangener aus Jerusalem übergeben in der Römer Hände, die mich, nachdem sie mich verhört hatten, losgeben wollten, weil nichts an mir war, das den Tod verdient hätte. Da aber die Juden dawider redeten, ward ich genötigt, mich auf den Kaiser zu berufen; nicht, als hätte ich mein Volk um etwas zu verklagen. Um dieser Ursache willen habe ich euch gebeten, daß ich euch sehen und sprechen dürfte; denn um der Hoffnung Israels willen trage ich diese Kette.” Apostelgeschichte 28,17-20.WA 444.1

    Er sagte nichts über die Mißhandlungen, die er von den Juden erlitten hatte, auch nichts über ihre wiederholten Anschläge gegen sein Leben; seine Worte waren vielmehr umsichtig und freundlich. Ihm lag es fern, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder Mitgefühl zu erregen. Es ging ihm allein darum, die Wahrheit zu verteidigen und für die Ehre des Evangeliums einzustehen.WA 444.2

    Seine Zuhörer erwiderten, daß weder durch öffentliche noch private Briefe irgendwelche Klagen gegen ihn eingegangen seien und daß ihn keiner der nach Rom gekommenen Juden irgendeines Verbrechens bezichtigt habe. Sie erwähnten aber auch, daß sie sehr gern den Grund für seinen Glauben an Christus erfahren wollten. “Denn von dieser Sekte”, so erklärten sie, “ist uns kund, daß ihr wird an allen Enden widersprochen.” Apostelgeschichte 28,22.WA 444.3

    Da sie es selbst wünschten, vereinbarte Paulus mit ihnen einen Tag, an dem er ihnen die Botschaft des Evangeliums erläutern könnte. Zur vorgesehenen Zeit “kamen viele zu ihm in die Herberge, welchen er auslegte und bezeugte das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten von frühmorgens an bis an den Abend”. Apostelgeschichte 28,23. Er erzählte seine eigenen Erfahrungen und legte schlicht und eindringlich die Beweise aus dem Alten Testament dar.WA 444.4

    Der Apostel zeigte auf, daß Religion nicht in bloßen Gebräuchen und äußeren Formen, in Glaubensbekenntnissen und Lehrsätzen bestehe. Wäre dies der Fall, dann könnte sie der normale Mensch durch Untersuchungen ergründen, wie er auch irdische Dinge zu begreifen vermag. Paulus lehrte, daß wahrer Glaube eine wirkende, errettende Kraft ist, die ausschließlich von Gott ausgeht und die der Mensch durch Wiedergeburt und Erneuerung erfährt.WA 445.1

    Er zeigte, wie bereits Mose das Volk Israel auf Christus hingewiesen habe als auf den Propheten, den sie hören sollten, und wie alle Propheten von ihm als Gottes erhabenem Heilmittel von der Sünde gezeugt hätten, von dem Einen, der als Schuldloser die Sünde der Schuldigen tragen sollte. Er tadelte sie nicht wegen ihrer Befolgung äußerer Formen und religiöser Gebräuche, zeigte ihnen aber, daß sie, während sie den zeremoniellen Vorschriften mit großer Genauigkeit nachkamen, den verwarfen, auf den das ganze Kultsystem hinwies.WA 445.2

    Paulus erklärte, daß er vor seiner Bekehrung Christus nicht persönlich gekannt habe, sondern er habe sich — wie alle anderen — seine eigenen Vorstellungen von dem Wesen und Wirken des kommenden Messias gemacht. Weil Jesus von Nazareth diesen Vorstellungen nicht entsprach, habe er ihn als einen Betrüger verworfen. Nun aber sei sein Verständnis von Christus und Christi Sendung weit geistlicher und höher, weil er selbst eine Bekehrung erlebt habe. Der Apostel betonte, daß es ihm nicht darum gehe, Christus in seiner menschlichen Gestalt darzustellen. Wohl hatte Herodes Christus leiblich sehen können, ebenso Hannas, Pilatus, die Priester und Obersten sowie die römischen Kriegsknechte, aber sie hatten ihn nicht mit den Augen des Glaubens und nicht als den verherrlichten Erlöser gesehen. Christus im Glauben zu erfassen und geistlich mit ihm verbunden zu sein, sei bedeutsamer, als ihn während seines Erdenlebens persönlich gekannt zu haben. Solche Gemeinschaft mit Christus, die Paulus so froh mache, sei inniger und dauerhafter als jede menschliche Freundschaft auf Erden.WA 445.3

    Als Paulus von dem sprach, was er von Jesus von Nazareth als der Hoffnung Israels wußte, und von dem zeugte, was er gesehen hatte, wurden alle überzeugt, die aufrichtig nach Wahrheit suchten. Auf einige machten seine Worte zumindest einen unauslöschlichen Eindruck. Andere jedoch weigerten sich hartnäckig, das klare Zeugnis der Schrift anzunehmen, obwohl es ihnen von einem gegeben wurde, der vom Heiligen Geist sichtlich erleuchtet war. Sie konnten seine Ausführungen nicht widerlegen, weigerten sich aber, die Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.WA 446.1

    Nach der Ankunft des Apostels in Rom verstrichen viele Monate, ehe die Juden von Jerusalem eintrafen, um ihre Anklagen gegen den Gefangenen vorzubringen. Wiederholt waren ihre Absichten durchkreuzt worden, und jetzt, da Paulus vor dem höchsten Gerichtshof des Römischen Reiches verhört werden sollte, wollten sie sich keiner weiteren Niederlage aussetzen. Lysias, Felix, Festus und Agrippa hatten gesagt, daß sie von seiner Unschuld überzeugt wären. So konnten seine Feinde nur dann auf Erfolg hoffen, wenn es ihnen gelang, den Kaiser durch Ränkespiele für sich zu gewinnen. Eine Verzögerung konnte ihren Plänen nur dienlich sein, denn dadurch gewannen sie Zeit, ihre Pläne zu schmieden und auszuführen. Deshalb warteten sie eine Zeitlang, ehe sie ihre Anklagen persönlich gegen den Apostel erhoben.WA 446.2

    Nach Gottes Vorsehung trug dieser Aufschub jedoch zur Förderung des Evangeliums bei. Durch das Entgegenkommen derer, die Paulus in Gewahrsam hatten, durfte er in einem geräumigen Hause wohnen, wo er ohne jede Behinderung mit seinen Freunden zusammenkommen konnte, um täglich denen, die es hören wollten, die Wahrheit auszulegen. So konnte er zwei Jahre hindurch seine Arbeit fortsetzen. Er “predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert”. Apostelgeschichte 28,31.WA 446.3

    Während dieser Zeit vergaß er auch nicht die Gemeinden, die er in vielen Ländern gegründet hatte. Er kannte die Gefahren, die den zum neuen Glauben Bekehrten drohten. Deshalb versuchte der Apostel soweit wie möglich durch Briefe, die Mahnungen und praktische Unterweisungen enthielten, auf ihre Nöte und Anliegen einzugehen. Ferner sandte er Gott geweihte Mitarbeiter von Rom aus zum Dienst nicht nur in diese Gemeinde, sondern auch in Gebiete, die er selbst nicht besucht hatte. Diese Mitarbeiter setzten als weise Hirten das von Paulus begonnene Werk erfolgreich fort. Durch die ständige Verbindung mit ihnen war der Apostel über den Stand der Gemeinden, sowie über die ihnen drohenden Gefahren gut unterrichtet, so daß er über alle eine weise Aufsicht ausüben konnte.WA 447.1

    Obwohl es schien, als sei Paulus von jeder Möglichkeit zu aktiver Arbeit am Werk Gottes abgeschnitten, war sein Einfluß nun weitreichender und nachhaltiger als in den früheren Jahren, da er die Gemeinden ungehindert besuchen konnte. Als Gefangener des Herrn waren ihm nun die Brüder mehr zugetan. Die Worte, die er ihnen als ein um Christi willen Gebundener schrieb, fanden größere Aufmerksamkeit und Beachtung als in jenen Tagen, da er noch persönlich unter ihnen weilte. Erst jetzt, da Paulus ihnen genommen war, erkannten die Gläubigen, wieviel Schweres er um ihretwillen ertragen hatte. Bisher hatten sie sich aller Verantwortlichkeit und aller Lasten größtenteils mit der Begründung entzogen, daß ihnen seine Weisheit, sein Anpassungsvermögen und seine unbezwingliche Tatkraft fehlten. Jetzt aber, da sie in ihrer Unerfahrenheit lernen mußten, was sie sonst von sich gewiesen hätten, schätzten sie seine Mahnungen, Ratschläge und Unterweisungen viel mehr als sein vorheriges persönliches Wirken. Als sie von seinem Mut und Glauben während der langen Gefangenschaft vernahmen, wurden sie zu größerer Treue und wachsendem Eifer für die Sache Christi angespornt.WA 447.2

    Zu den Gehilfen des Apostels Paulus in Rom gehörten viele seiner früheren Gefährten und Mitarbeiter. Lukas, “der Arzt, der Geliebte” (Kolosser 4,14), der ihn auf seiner Reise nach Jerusalem begleitet hatte und während der zweijährigen Gefangenschaft in Cäsarea bei ihm gewesen war, und der ihm auch während der gefahrvollen Reise nach Rom treu zur Seite gestanden hatte, war noch immer bei ihm. Auch Timotheus diente ihm zum Trost. (Kolosser 1,1). Desgleichen stand “Tychikus, der liebe Bruder und getreue Diener und Mitknecht in dem Herrn” (Kolosser 4,7), dem Apostel selbstlos bei. Ferner waren Demas und Markus bei ihm. (Kolosser 4,10.14). Aristarchus und Epaphras waren sogar seine Mitgefangenen. (Kolosser 4,10.12).WA 448.1

    Markus hatte im Laufe der Jahre an christlicher Erfahrung zugenommen. Nachdem er sich gründlich mit dem Leben und Sterben Christi befaßt hatte, hatte er ein tieferes Verständnis gewonnen für die Sendung des Heilandes sowie für deren Schwierigkeiten und Kämpfe. Als Markus in den Wundmalen in Jesu Händen und Füßen die Zeichen des Dienstes Christi für die Menschheit und seiner unermeßlichen Selbstverleugnung zur Rettung der Verlorenen und Untergehenden erkannte, war er willens geworden, dem Meister auf dem Pfad der Selbstaufopferung zu folgen. Als er nun mit Paulus das Los des Gefangenen teilte, erkannte er besser als je zuvor, welch unendlicher Gewinn es ist, Christus zu besitzen. Unwiederbringlicher Verlust aber ist es, die Welt zu erwerben und dafür die Seele zu verlieren, für deren Erlösung Christus sein Blut vergossen hat. So blieb Markus standhaft auch angesichts der schwersten Anfechtungen und Widerwärtigkeiten und war ein verständiger und geliebter Helfer des Apostels.WA 448.2

    Demas dagegen, der eine Zeitlang standhaft gewesen war, gab später die Sache Christi auf. Über ihn schrieb Paulus: “Demas hat mich verlassen und diese Welt liebgewonnen.” 2.Timotheus 4,10. Gegen vergänglichen Gewinn tauschte Demas alles ein, was von hoher und edler Bedeutung war. Wie kurzsichtig war doch dieser Tausch! Trotz des Besitzes irdischen Reichtums und weltlicher Ehre war Demas im Grunde doch ein armer Mensch, mochte er auch noch so viel Stolz sein eigen nennen. Markus dagegen, der sich entschieden hatte, für Christus zu leiden, besaß unvergänglichen Reichtum und wurde im Himmel als Gottes Erbe und Jesu Miterbe angesehen.WA 449.1

    Einer von denen, die durch Paulus Wirken in Rom ihr Herz Gott übergaben, war Onesimus, ein heidnischer Sklave, der seinem Herrn Philemon, einem Gläubigen in Kolossa, Schaden zugefügt hatte und nach Rom entflohen war. In seiner Herzensgüte suchte Paulus zunächst die Armut und das Leid dieses unglücklichen Flüchtlings zu lindern, und dann bemühte er sich, seinen verfinsterten Geist mit dem Licht der Wahrheit zu erhellen. Onesimus schenkte dem Wort des Lebens Gehör, bekannte seine Sünden und bekehrte sich zum Glauben an Christus.WA 449.2

    Durch seine Frömmigkeit und Aufrichtigkeit, durch seine freundliche Fürsorge für Paulus und durch seinen Eifer, das Evangelium zu fördern, erwarb sich Onesimus die Zuneigung des Apostels. Paulus entdeckte in ihm Wesenszüge, die versprachen, daß aus ihm ein nützlicher Helfer in der Missionsarbeit würde. Er riet ihm, ohne Zögern zu Philemon zurückzukehren, ihn um Verzeihung zu bitten und Pläne für die Zukunft zu legen. Der Apostel versprach ihm auch, für das Geld aufzukommen, das Onesimus dem Philemon entwendet hatte. Da er gerade Tychikus mit Briefen zu verschiedenen Gemeinden in Kleinasien senden wollte, schickte er Onesimus mit ihm. Es war eine schwere Probe für den einstigen Sklaven, sich selbst seinem Herrn auszuliefern, dem er Unrecht zugefügt hatte. Doch da er wirklich bekehrt war, entzog er sich nicht dieser Pflicht.WA 449.3

    Paulus übergab Onesimus einen Brief an Philemon, in dem er sich mit dem ihm eigenen Zartgefühl und Wohlwollen für den reumütigen Sklaven einsetzte und den Wunsch äußerte, Onesimus möge ihm künftig zum Dienst zur Verfügung stehen. Der Brief begann mit einem herzlichen Gruß an Philemon, den Freund und Mitarbeiter:WA 450.1

    “Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unsrem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Ich danke meinem Gott und gedenke dein allezeit in meinem Gebet, da ich höre von der Liebe und dem Glauben, welche du hast an den Herrn Jesus und gegen alle Heiligen, auf daß der Glaube, den wir miteinander haben, in dir kräftig werde in Erkenntnis alles des Guten, das wir haben, für Christus.” Philemon 3-6. Der Apostel erinnerte Philemon daran, daß er jeden guten Vorsatz und jede gute Charaktereigenschaft, die er besaß, der Gnade Christi verdanke, und daß dies allein ihn von den verderbten und sündhaften Menschen unterscheide. Dieselbe Gnade könne auch aus einem verkommenen Verbrecher ein Gotteskind und einen nützlichen Arbeiter am Evangelium machen.WA 450.2

    Paulus hätte Philemon nötigen können, an seine Christenpflicht zu denken, doch er wählte lieber die Sprache des Bittenden: “Ich ... Paulus, ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener Christi Jesu ... ermahne ... dich um meines Sohnes willen, Onesimus, den ich gezeugt habe in meiner Gefangenschaft, welcher vormals dir unnütz, jetzt aber dir und mir wohl nütze ist.” Philemon 9-11.WA 450.3

    Der Apostel bat Philemon, da Onesimus sich bekehrt habe, den reumütigen Sklaven wie sein eigenes Kind anzunehmen und ihm solche Liebe zu erweisen, daß er gern bei seinem ehemaligen Herrn bleibe, “nun nicht mehr wie einen Knecht, sondern mehr als einen Knecht als einen lieben Bruder”. Philemon 16. Er äußerte den Wunsch, daß Philemon doch den Onesimus zu ihm zurücksenden möge, damit dieser ihm in seiner Gefangenschaft dienen könne, so wie Philemon es selbst gern getan hätte. Er wolle den Dienst des Onesimus aber nur annehmen, wenn Philemon bereit sei, aus eignem Antrieb den Sklaven freizugeben.WA 450.4

    Der Apostel wußte wohl, mit welcher Strenge die Herren damals ihre Sklaven behandelten und daß auch Philemon über das Verhalten seines Knechtes höchst ungehalten war. Deshalb bemühte er sich, sein Schreiben so abzufassen, daß die tiefsten und zartesten christlichen Empfindungen in ihm wachgerufen würden. Durch die Bekehrung war Onesimus ein Glaubensbruder geworden. Jede Strafe, die man ihm zufügte, mußte Paulus als ihm persönlich angetan betrachten.WA 451.1

    Der Apostel erklärte sich ferner bereit, für die Schuld des Onesimus aufzukommen, damit dem einstigen Sklaven die Schande der Bestrafung erspart bliebe und er sich wieder der Vorrechte erfreuen dürfe, die er verwirkt hatte. “Wenn du mich nun”, so schrieb Paulus an Philemon, “für deinen Freund hältst, so wollest du ihn aufnehmen wie mich selbst. Wenn er aber dir Schaden getan hat oder etwas schuldig ist, das rechne mir an. Ich, Paulus, schreibe das mit meiner Hand : Ich wil’s bezahlen.” Philemon 17-19.WA 451.2

    Welch treffende Darstellung der Liebe Christi zum reumütigen Sünder! Der Knecht, der seinen Herrn betrogen hatte, besaß nichts, um den Schaden zu ersetzen. Der Sünder, der jahrelang Gott des Dienstes beraubt hat, kann seine Schuld ebenfalls nicht begleichen. Jesus aber tritt zwischen den Sünder und Gott und erklärt: Ich will die Schuld bezahlen. Verschone den Sünder; ich will an seiner Stelle leiden.WA 451.3

    Nachdem Paulus sich erboten hatte, die Schuld des Onesimus zu begleichen, erinnerte er Philemon daran, wieviel dieser selbst ihm verpflichtet sei. Er verdankte ihm sein eigenes Selbst, seit Gott durch Paulus seine Bekehrung bewirkt hatte. Alsdann bat er Philemon feinfühlend und ernsthaft, er möge, so wie er durch seine Freigebigkeit die Heiligen erquickt habe, nun auch das Herz des Apostels erquicken und ihm diese Freude gewähren. “Ich habe”, fügte er hinzu, “im Vertrauen auf deinen Gehorsam dir geschrieben; und ich weiß, du wirst mehr tun, als ich sage.” Philemon 21.WA 451.4

    Der Brief des Apostels an Philemon zeigt den Einfluß des Evangeliums auf das Verhältnis zwischen Herren und Knechten. Sklaverei war im ganzen Römischen Reich eine anerkannte Einrichtung, und zu den meisten Gemeinden, in denen Paulus wirkte, gehörten Herren und auch Sklaven. In den Städten, wo es oft mehr Sklaven als freie Bürger gab, waren äußerst harte Gesetze erlassen worden, um die Sklaven unterwürfig zu halten. Einem wohlhabenden Römer gehörten mitunter Hunderte von Sklaven aus den verschiedensten Ständen, Völkern und Berufen. Da er volle Gewalt über Leib und Leben dieser Hilflosen besaß, konnte er ihnen willkürlich irgendwelche Strafen auferlegen. Wagte es nun einer von ihnen, aus Wiedervergeltung oder in Notwehr die Hand gegen seinen Besitzer zu erheben, so konnte es geschehen, daß die ganze Familie des Missetäters unmenschlich dafür büßen mußte. Schon geringe Versehen, Unfälle oder Unachtsamkeiten wurden oft unbarmherzig bestraft.WA 452.1

    Es gab aber auch Herren, die menschlicher empfanden und ihre Sklaven freundlich behandelten; doch die meisten Wohlhabenden und Reichen frönten uneingeschränkt ihren Leidenschaften und Begierden und erniedrigten ihre Sklaven zu bedauernswerten Opfern ihrer Launen und ihrer Tyrannei. Eine solche Gesellschaftsordnung mußte zu hoffnungslosem Niedergang führen.WA 452.2

    Es war nicht die Aufgabe des Apostels, eigenmächtig oder vorschnell die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu stürzen. Ein solcher Versuch hätte den Fortgang der Evangeliumsverkündigung in Frage gestellt. Er lehrte aber Grundsätze, durch die die Sklaverei an der Wurzel getroffen wurde; und wo man diese Lehren ernst nahm, mußte die ganze Gesellschaftsordnung erschüttert werden. “Wo ... der Geist des Herrn ist; da ist Freiheit” (2.Korinther 3,17), erklärte er. Durch seine Bekehrung wurde der Sklave ein Glied am Leibe Christi. Als solches mußte er wie ein Bruder geliebt und behandelt werden. Wie sein Herr war er Miterbe der Segnungen Gottes und der Gnadengaben des Evangeliums. Andererseits sollten die Sklaven ihren Pflichten nachkommen, “nicht mit Dienst allein vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern als Knechte Christi, die den Willen Gottes tun von Herzen.” Epheser 6,6.WA 452.3

    So wurde durch das Christentum ein starkes Band der Gemeinschaft geknüpft zwischen Herren und Sklaven, Königen und Untertanen, zwischen dem Diener des Evangeliums und dem tief gefallenen Sünder, der durch Christus Reinigung von aller Sünde empfangen hat. Alle sind in dem gleichen Blut gewaschen, vom gleichen Geist belebt und eins in Christus Jesus.WA 453.1

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