Als Saul auf den Thron berufen wurde, hatte er eine bescheidene Meinung von sich und seinen Fähigkeiten und war bereit, sich belehren zu lassen. Ihm fehlten Kenntnisse und Erfahrungen, und er wies ernste Charakterfehler auf. Aber der Herr verlieh ihm den Heiligen Geist als Führer und Helfer und ermöglichte es ihm, die für die Herrschaft über Israel notwendigen Eigenschaften zu entwickeln. Wäre Saul demütig geblieben und hätte sich von der göttlichen Weisheit leiten lassen, wäre er befähigt worden, den Pflichten seiner hohen Stellung ehrenhaft und erfolgreich nachzukommen. Unter dem Einfluss der göttlichen Gnade wäre jede gute Eigenschaft gestärkt worden, während die üblen Neigungen ihre Macht verloren hätten. WAB 619.1
Dies ist das Werk, das Gott für alle zu tun beabsichtigt, die sich seinem Dienst weihen. Er hat viele zu Stellungen in seinem Werk berufen, weil sie demütig und lernbereit sind. In seiner Vorsehung stellt er sie dahin, wo sie von ihm lernen können. Er wird ihnen ihre charakterlichen Schwächen offenbaren und allen, die seine Hilfe suchen, die Stärke geben, um ihre Fehler zu berichtigen. WAB 619.2
Aber Saul wurde durch seine Erhöhung anmaßend und entehrte Gott durch sein mangelndes Vertrauen und seinen Ungehorsam. Obwohl er bei seiner Berufung zum Thron bescheiden und ohne viel Selbstvertrauen war, machte ihn der Erfolg überheblich. Schon der erste Sieg entfachte in ihm jenen Stolz, der für ihn die größte Gefahr darstellte. Seine Tapferkeit und seine militärische Führungsgabe, die er bei der Befreiung von Jabesch in Gilead unter Beweis gestellt hatte, hatten die ganze Nation begeistert. Das Volk ehrte seinen König und vergaß darüber, dass er nur das Werkzeug war, durch das Gott gewirkt hatte. Zwar hatte Saul anfangs Gott die Ehre gegeben, doch später beanspruchte er den Ruhm für sich. Er verlor seine Abhängigkeit von Gott aus den Augen und entfernte sich auch innerlich immer mehr von ihm. Somit war der Weg für das anmaßende und frevelhafte Opfer in Gilgal bereitet. Dieselbe blinde Selbstsicherheit führte ihn dazu, Samuels Tadel zurückzuweisen. Da Saul Samuel als einen von Gott gesandten Propheten anerkannt hatte, hätte er den Verweis annehmen müssen, auch wenn er seine Verfehlung noch nicht einzusehen vermochte. Wäre er willens gewesen, seinen Irrtum zu erkennen und einzugestehen, wäre ihm diese bittere Erfahrung zu einem Schutz für die Zukunft geworden. WAB 619.3
Hätte sich der Herr damals ganz von Saul zurückgezogen, würde er nicht abermals durch seinen Propheten zu ihm gesprochen und ihn mit einer bestimmten Aufgabe betraut haben, damit er die Fehler der Vergangenheit ausgleichen konnte. Wenn jemand, der bekennt, ein Kind Gottes zu sein, darin nachlässig wird, dessen Willen auszuführen, und dadurch andere beeinflusst, gegenüber den Anordnungen Gottes gleichgültig und unachtsam zu sein, ist es immer noch möglich, dass sich seine Verfehlungen in einen Sieg verwandeln, wenn er den Tadel mit aufrichtiger Reue annimmt und in Demut und im Glauben zu Gott zurückkehrt. Das Demütigende einer Niederlage erweist sich oft als Segen, weil es uns zeigt, dass wir nicht in der Lage sind, Gottes Willen ohne seine Hilfe auszuführen. WAB 619.4
Als Saul den Tadel, der ihm durch Gottes Geist übermittelt wurde, von sich wies und in seiner starrköpfigen Selbstrechtfertigung verharrte, verwarf er das einzige Mittel, durch das Gott wirken konnte, um ihn vor sich selbst zu retten. Er hatte sich mutwillig von Gott getrennt. Nun konnte er keine Hilfe oder Führung von ihm erhalten, es sei denn, er kehrte durch ein Bekenntnis seiner Sünden zu Gott zurück. WAB 620.1
In Gilgal hatte Saul den Anschein großer Gewissenhaftigkeit erweckt, als er vor dem Heer Israels stand und Gott ein Opfer darbrachte. Aber seine Frömmigkeit war nicht echt. Diese religiöse Handlung, die entgegen Gottes ausdrücklichem Befehl vorgenommen wurde, schwächte nur Sauls Hände und stellte ihn außerhalb der Hilfe, die Gott ihm gewähren wollte. WAB 620.2
Bei seinem Feldzug gegen die Amalekiter meinte Saul, alles Wesentliche, das ihm der Herr befohlen hatte, getan zu haben. Aber Gott war mit teilweisem Gehorsam nicht zufrieden und nicht bereit, ein noch so vernünftiges Versäumnis zu übersehen. Gott hat niemandem die Freiheit gegeben, von seinen Forderungen abzuweichen. Er hatte den Israeliten verboten, dass »ein jeder [tut], was ihm recht dünkt” (5. Mose 12,8), sondern sie sollten »alle Weisungen” beachten, die er ihnen gegeben hatte (5. Mose 12,28a Hfa). Bei den Entscheidungen über all unser Handeln sollen wir nicht fragen, ob uns daraus Schaden erwächst, sondern ob sie dem Willen Gottes entsprechen. »Mancher Mensch hält seinen Weg für den richtigen, aber am Ende führt er ihn in den Tod.« (Sprüche 14,12 GNB) WAB 620.3
»Gehorsam ist besser als Opfer.« (1. Samuel 15,22a) In Gottes Augen waren die Opfer an sich ohne Wert. Ihr Sinn lag darin, dass der Opfernde durch sie seine Reue über die Sünde und seinen Glauben an den Erlöser ausdrückte und für die Zukunft Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes gelobte. Ohne Reue, Glauben und ein gehorsames Herz waren die Opfer wertlos. Als Saul gar vorschlug, in offener Übertretung des göttlichen Gebotes ein Opfer von jenen Tieren darzubringen, die Gott zur Vernichtung bestimmt hatte, zeigte er damit seine klare Verachtung der göttlichen Autorität. Ein solcher Gottesdienst wäre eine Beleidigung für Gott gewesen. WAB 620.4
Doch wie viele handeln heute ähnlich, obwohl sie Sauls Sünde und ihre Folgen kennen! Während sie einem bestimmten Gebot Gottes nicht glauben und ihm nicht gehorchen, halten sie an äußerlichen Gottesdienstformen fest. Auf einen solchen Dienst gibt es keine Antwort des Geistes Gottes. Mögen sie noch so eifrig alle religiösen Zeremonien befolgen - der Herr kann sie nicht annehmen, wenn sie in willentlicher Übertretung eines seiner Gebote verharren. WAB 621.1