Doch unter denen, die sich den Übergriffen des Papsttums am stärksten widersetzten, standen die Waldenser an vorderster Front. Gerade in dem Land, wo das Papsttum seinen Sitz aufgeschlagen hatte, wurde seiner Falschheit und seiner Verdorbenheit der entschlossenste Widerstand entgegengebracht. Über Jahrhunderte hinweg behielten diese piemontesischen Christen ihre Unabhängigkeit. Doch auch hier kam die Zeit, wo Rom ihre Unterwerfung forderte. Nach glücklosen Kämpfen gegen den römischen Machtanspruch anerkannten die Leiter dieser Gemeinden zögernd die Vorherrschaft dieser Macht, der sich scheinbar die ganze Welt unterwarf. Es gab aber Einzelne, die es ablehnten, der Autorität des Papstes und seiner Prälaten Gehorsam zu leisten. Sie waren entschlossen, Gott die Treue zu halten und die Reinheit und Einfachheit ihres Glaubens zu bewahren. Es gab eine Trennung in der Gemeinde. Jene, die dem alten Glauben treu blieben, zogen sich zurück. Einige von ihnen verließen ihre heimatlichen Alpen und richteten das Banner der Wahrheit in fremden Ländern auf. Andere zogen sich in felsige Schluchten der Berge zurück und bewahrten dort ihre Freiheit, Gott zu dienen. VSL 61.2
Der Glaube, der von den Waldensern bewahrt und gelehrt wurde, stand in scharfem Gegensatz zu den falschen Lehren, die Rom vertrat. Ihr Glaube war gegründet auf das geschriebene Wort Gottes, die wahre Grundlage des Christentums. Doch diese einfachen Bauern in ihren verborgenen Zufluchtsorten, abgeschieden von der Welt und treu in ihrer täglichen Arbeit bei ihren Herden und in ihren Weinbergen, waren nicht von sich aus auf die Wahrheiten gestoßen, die den Dogmen und Irrlehren Roms widersprachen. Ihre Überzeugung hatten sie nicht neu empfangen, sondern von ihren Vätern geerbt. Sie kämpften für den Glauben der apostolischen Gemeinde, »der ein für alle Mal den Heiligen überliefert” war (Judas 3). »Die Gemeinde in der Wüste” (vgl. Offenbarung 12,6) und nicht die stolze Hierarchie auf dem Thron der römischen Weltmetropole war die wahre Gemeinde Christi, die Hüterin der Schätze der Wahrheit, die Gott seinem Volk anvertraut hatte, um sie der Welt mitzuteilen. VSL 62.1
Unter den Hauptursachen, die zur Trennung der wahren Gemeinde von Rom geführt hatten, war der Hass Roms gegen den Sabbat. Wie die Prophezeiung vorhersagte, würde die päpstliche Macht die Wahrheit zu Boden werfen. Das Gesetz Gottes wurde mit Füßen getreten, während menschliche Überlieferungen betont wurden. Die Gemeinden, die unter der Herrschaft des Papsttums standen, wurden schon früh gezwungen, den Sonntag als heiligen Tag zu ehren. Inmitten von Irrtum und Aberglauben, die allgemein vorherrschten, wurde sogar das wahre Volk Gottes so verwirrt, dass sie den Sabbat hielten, jedoch auch am Sonntag nicht arbeiteten. Doch das genügte den päpstlichen Würdenträgern nicht. Sie verlangten nicht nur, dass der Sonntag geheiligt, sondern auch dass der Sabbat entweiht werde, und sie klagten in scharfer Sprache die an, die es wagten, ihn zu ehren. Nur wer der römischen Macht entfloh, konnte dem Gesetz Gottes in Frieden gehorchen. VSL 62.2
Die Waldenser gehörten mit zu den ersten Völkern Europas, die eine Übersetzung der Heiligen Schrift16Siehe Glossar, »Waldenser, Bibelübersetzung«, S. 681. besaßen. Jahrhunderte vor der Reformation verfügten sie über Abschriften der Bibel in ihrer Muttersprache. Sie besaßen die unverfälschte Wahrheit, was ihnen Hass und Verfolgung einbrachte. Sie bezeichneten die Kirche von Rom als das abtrünnige Babylon aus der Offenbarung, und unter Einsatz ihres Lebens erhoben sie sich und widerstanden der kirchlichen Korruption. (HGW, 80-88). Während ei nige unter dem Druck lang anhaltender Verfolgung Zugeständnisse machten und nach und nach von ihren Glaubensgrundsätzen abwichen, die sie von den anderen unterschieden, hielten andere an der Wahrheit fest. Im dunklen Mittelalter des Abfalls gab es Waldenser, die Rom die Gefolgschaft verweigerten, Bilderverehrung als Götzendienst verwarfen und am wahren Sabbat17Siehe Glossar »Waldenser und die Sabbatfeier«, S. 681. festhielten. In den heftigsten Stürmen der Gegner blieben sie ihrem Glauben treu. Obgleich sie von den Speeren der Savoyer durchbohrt und von Brandfackeln der Anhänger Roms versengt wurden, verteidigten sie unerschrocken Gottes Wort und seine Ehre. VSL 62.3
Hinter den erhabenen Bollwerken der Berge, die zu allen Zeiten Zufluchtsorte Verfolgter und Unterdrückter waren, fanden die Waldenser eine Unterkunft. Hier brannte das Licht der Wahrheit inmitten der Finsternis des Mittelalters. Hier wurde das Zeugnis des alten Glaubens tausend Jahre lang hochgehalten. VSL 63.1