Um diese Zeit kam ein neues Instrument zur Förderung der Reformation ins Spiel. Ein Freund des evangelischen Glaubens aus Basel, der Humanist Beatus Rhenanus, sandte einen gewissen Lucian mit einigen Schriften Luthers nach Zürich. Er sah im Verkauf dieser Bücher ein mächtiges Mittel zur Verbreitung des geistlichen Lichtes. An Zwingli schrieb er: »Mach sicher, ob dieser Mann genügend Klugheit und Geschick besitzt, wenn ja, lass ihn Luthers Schriften, vor allem die für Laien gedruckte Auslegung des Gebets des Herrn, in allen Städten, Flecken, Dörfern, auch von Haus zu Haus verbreiten. Je mehr sie bekannt sind, desto mehr Käufer werden sie finden.” (DAGR, VIII, 6; SSZ, VII, 81, 02. Juli 1519) Auf diese Weise fand das Licht Eingang in die Herzen vieler Menschen. VSL 165.2
Doch wenn Gott sich anschickt, die Stricke der Unwissenheit und des Aberglaubens zu lösen, hält Satan die Menschen mit großer Macht in der Dunkelheit fest und zieht die Fesseln noch stärker an. In den verschiedensten Ländern machten sich Männer auf, dem Volk Vergebung und Rechtfertigung durch das Blut Christi zu verkündigen. Gleichzeitig verstärkte Rom seine Anstrengungen, allen Christen die Möglichkeit zu bieten, für Geld Vergebung zu erhalten. VSL 165.3
Jede Sünde hatte ihren Preis und den Menschen wurde die Genehmigung zur Ausübung eines jeden Verbrechens erteilt, wenn nur die Schatztruhe der Kirche gefüllt blieb. So gingen beide Bewegungen voran - die eine bot Vergebung der Sünden durch Geld an, die andere Vergebung durch Christus. Rom erlaubte die Sünde und machte sie zur Quelle seiner Einkünfte; die Reformatoren verurteilten sie und wiesen auf Christus als Versöhner und Befreier. VSL 165.4
In Deutschland wurde der Ablassverkauf den Dominikanermönchen anvertraut, wobei der berüchtigte Tetzel die führende Rolle spielte. In der Schweiz lag er in Händen der Franziskaner unter dem italienischen Mönch Bernardin Samson. Samson hatte der Kirche bereits gute Dienste geleistet und in Deutschland und der Schweiz große Geldbeträge gesammelt, welche die päpstlichen Schatzkammern füllten. Nun durchquerte er die Schweiz und zog große Menschenmassen an. Arme Bauern beraubte er ihres dürftigen Einkommens und bei den Reichen holte er kostbare Geschenke. Doch der Einfluss der Reformation machte sich bemerkbar. Obwohl der Ablasshandel nicht gänzlich versiegte, gingen die Einnahmen deutlich zurück. Zwingli war zu dieser Zeit noch in Einsiedeln. Kurz nach seiner Einreise in die Schweiz bot Samson seine Ablassbriefe in einem benachbarten Ort an. Als der Reformator von Samsons Mission hörte, widersetzte er sich ihm unverzüglich. Die beiden begegneten sich zwar nicht, aber Zwingli stellte die Anmaßungen des Mönchs mit einem solchen Erfolg bloß, dass Samson die Gegend verlassen musste. VSL 165.5
Auch in Zürich predigte Zwingli eifrig gegen die Ablasskrämer, und als sich Samson der Stadt näherte, gab ihm ein Ratsbote die Anweisung, er solle weiterziehen. Durch eine List gelang es ihm zwar, in die Stadt zu gelangen, er wurde jedoch fortgeschickt, ohne einen einzigen Ablasszettel verkauft zu haben. Kurz darauf verließ er die Schweiz. (SZ, I, 144 ff.) VSL 166.1