Christus machte sich die Bedürfnisse seines Volkes zu eigen. Ihre Nöte und ihre Leiden waren auch die seinen. Er sprach: “Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.” Matthäus 25,35.36. Den Nachfolgern Christi herzliche Zuneigung und aufrichtige Liebe entgegenzubringen, das ist Aufgabe der Diener Gottes. Sie sollten jene tiefe Anteilnahme zeigen, die auch Christus in der Sorge des Hirten für das verlorene Schaf offenbarte; sie sollten seinem Beispiel folgen und das gleiche Erbarmen, die gleiche Güte und die gleiche zärtliche, mitfühlende Liebe zeigen, die er uns gegenüber bewiesen hat. Sch1 293.1
Die stärksten sittlichen Kräfte der Seele sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Mag ein Prediger auch noch so ernst und eifrig arbeiten, wie er will, Gott anerkennte sein Wirken nicht, wären diese Kräfte untätig, denn es könnte nicht zum Besten der Gemeinde Frucht tragen. Ein Diener Christi, der die ernste Botschaft Gottes an das Volk trägt, sollte immer gerecht handeln, Barmherzigkeit lieben und demütig vor Gott wandeln. Mit dem Geist Christi im Herzen wird er seine ganze Kraft einsetzen, um die Schafe seiner Weide zu erhalten und zu behüten gleich einem treuen und wahren Hirten. Liebe ist die goldene Kette, die gläubige Herzen untereinander mit freiwilligen Banden der Freundschaft und Treue verbindet und die Seele an Gott fesselt. Sch1 293.2
Den Brüdern mangelt es entschieden an Liebe, Erbarmen und mitfühlender Fürsorge. Die Diener Christi sind zu kalt und herzlos. Nicht aller Herzen erglühen in gütigem Erbarmen und ernster Liebe. Die reinste und höchste Hingabe an Gott zeigt sich in dem aufopferungsvollen Mühen, Menschen für Christus zu gewinnen. Mangelnder Glaube, fehlende Hoffnung und Liebe sind die Ursachen, warum Prediger, die die gegenwärtige Wahrheit verkündigen, keinen Erfolg haben. Wir alle begegnen Mühen und Kämpfen und haben Entsagungen und verborgene Prüfungen des Herzens zu ertragen. Wegen unserer Sünden wird es Sorgen und Tränen geben und wegen unserer Unzulänglichkeiten ständige Kämpfe sowie Schlaflosigkeit, von Gewissensbissen und Schamgefühl nicht zu reden. Sch1 293.3
Die Prediger des Kreuzes Christi mögen ihre Erfahrungen in diesen Dingen nicht vergessen, sondern immer daran denken, daß sie nur Menschen sind, dem Irrtum ausgesetzt und mit den gleichen Neigungen behaftet wie ihre Brüder. Wenn sie ihren Brüdern helfen wollen, müssen sie sich beharrlich darum bemühen, ihnen Gutes zu erweisen. Ihre Herzen müssen von Liebe und Güte erfüllt sein. Sie sollten ihren Brüdern nahekommen und dort helfen, wo diese schwach sind und Hilfe am meisten benötigen. Die Prediger des Wortes Gottes müssen erst ihre eigenen harten, stolzen, ungläubigen Herzen demütigen, wenn sie ihre Brüder zur Demut führen wollen. Sch1 294.1
Christus hat alles für uns getan, weil wir hilflos waren. Wir waren in Finsternis, Sünde und Hoffnungslosigkeit gebunden und konnten deshalb für uns selbst nichts tun. Wenn wir beständig glauben, hoffen und lieben, nähern wir uns mehr und mehr dem Zustand vollkommener Heiligkeit. Unsere Brüder empfinden das gleiche Mitleid heischende Bedürfnis nach Hilfe, das wir empfunden haben. Wir dürfen sie nicht unnötig tadeln, sondern uns durch die Liebe Christi gedrungen fühlen, sie überaus zart und mitfühlend zu behandeln. Wir sollten die Irrenden und von Gott Abgewichenen beweinen können. Die Seele ist von unendlichem Wert, der nur an dem Preis zu ermessen ist, der für ihre Erlösung bezahlt wurde. Golgatha! Golgatha! Golgatha! — das zeigt den wahren Wert einer Menschenseele. Sch1 294.2
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Milde Maßstäbe, gelinde Antworten und freundliche Worte sind viel besser geeignet als Strenge und Schroffheit, jemanden umzustimmen und ihn zu retten. Schon geringe Unfreundlichkeit mag Menschen Anlaß bieten, sich eurem Einfluß zu entziehen, während ihr sie durch einen versöhnlichen Geist an euch binden und ihnen den richtigen Weg weisen könnt. Euer ganzes Tun und Lassen sollte vom Geiste der Versöhnung getragen sein. Auch ziemt es sich für euch, jeder guten Absicht und Tat der Menschen eurer Umgebung das schuldige Vertrauen zu schenken. Testimonies for the Church IV, 65 (1876). Sch1 294.3