Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 27; Apostelgeschichte 28,1-10.
Endlich war Paulus auf dem Wege nach Rom. “Da es aber beschlossen war”, schreibt Lukas, “daß wir nach Italien fahren sollten, übergaben sie Paulus und etliche andere Gefangene einem Hauptmann mit Namen Julius von der kaiserlichen Schar. Wir bestiegen aber ein adramyttisches Schiff, das die Küstenstädte der Landschaft Asien anlaufen sollte, und fuhren ab vom Lande; und mit uns war Aristarchus, ein Mazedonier von Thessalonich.” Apostelgeschichte 27,1.2. WA 433.1
Im ersten Jahrhundert des christlichen Zeitalters war das Reisen zur See mit allerlei Mühsal und Gefahren verbunden. Die Seeleute konnten ihren Kurs meist nur nach dem Stand der Gestirne bestimmen. Waren diese aber nicht zu sehen und deuteten Anzeichen auf einen bevorstehenden Sturm, dann fürchteten sich die Schiffseigner, sich auf die offene See hinauszuwagen. Während einer gewissen Zeit des Jahres war eine sichere Schiffahrt fast unmöglich. WA 433.2
Der Apostel Paulus mußte nun die bitteren Erfahrungen durchstehen, die das Los eines in Ketten gelegten Gefangenen während einer langen, ermüdenden Seefahrt nach Italien war. Ein Umstand allerdings erleichterte ihm bedeutend die Härte seiner Lage: er durfte Lukas und Aristarchus als Begleiter mitnehmen. In seinem Brief an die Kolosser erwähnte er später letzteren als seinen Mitgefangenen. (Kolosser 4,10). Doch Aristarchus teilte freiwillig die Gefangenschaft des Paulus, um ihm in seinem Mißgeschick zur Seite zu stehen. WA 433.3
Die Reise fing günstig an. Schon am zweiten Tag gingen sie im Hafen von Sidon vor Anker. Hauptmann Julius “hielt sich freundlich gegen Paulus und erlaubte ihm”, als er erfuhr, daß in Sidon Christen wohnten, “zu seinen Freunden zu gehen und sich pflegen zu lassen”. Apostelgeschichte 27,3. Diese Genehmigung wußte der Apostel sehr zu schätzen, da seine Gesundheit angegriffen war. WA 434.1
Nachdem das Schiff Sidon verlassen hatte, mußte es gegen widrige Winde ankämpfen, die es vom Kurs abtrieben. So kam es nur langsam voran. In Myra in der Landschaft Lyzien fand der Hauptmann ein großes Schiff aus Alexandrien, das zur italienischen Küste fahren sollte, und ließ sogleich seine Gefangenen übersteigen. Doch immer noch stand der Wind ihnen entgegen, so daß das Schiff nur schwer vorwärtskam. Lukas schreibt: “Da wir aber in vielen Tagen langsam fuhren und nur mit Mühe bis Knidus kamen, denn der Wind wehrte uns, segelten wir im Schutz von Kreta hin bei Salmone und kamen kaum daran vorüber und gelangten an eine Stätte, die heißt Gutfurt.” Apostelgeschichte 27,6.7. WA 434.2
Hier in Gutfurt mußten sie einige Zeit liegen bleiben, um günstigen Wind abzuwarten. Da der Winter schnell herannahte und “nunmehr die Schiffahrt gefährlich war” (Apostelgeschichte 27,9), mußten die Schiffsleute die Hoffnung aufgeben, ihren Bestimmungsort zu erreichen, ehe die günstige Zeit für die Seefahrt zu Ende ging. Entschieden werden mußte noch die Frage, ob man in Gutfurt bleiben oder lieber versuchen sollte, einen günstigeren Ort zum Überwintern zu erreichen. WA 434.3
Diese Frage wurde ernstlich erwogen und schließlich vom Hauptmann dem Paulus vorgelegt, der die Achtung der Schiffsleute und Soldaten gewonnen hatte. “Ich sehe”, sagte er, “daß die Fahrt nur mit Leid und großem Schaden vor sich gehen wird, nicht allein für die Ladung und das Schiff sondern auch für unser Leben.” Apostelgeschichte 27,10. Aber der Steuermann und der Schiffsherr sowie die meisten Reisenden und Besatzungsmitglieder waren nicht gewillt, diesen Rat anzunehmen. “Da der Hafen”, in dem sie ankerten, “ungelegen war zum Überwintern, bestanden die meisten von ihnen auf dem Plan, weiterzufahren, ob sie zum Überwintern bis nach Phönix kommen könnten, welches ist ein Hafen auf Kreta, offen gegen Südwest und Nordwest.” Apostelgeschichte 27,12. WA 434.4
Der Hauptmann beschloß, der Ansicht der Mehrheit zu folgen. So verließen sie, als “der Südwind wehte”, Gutfurt in der Hoffnung, bald den gewünschten Hafen zu erreichen. “Nicht lange aber danach erhob sich ... eine Windsbraut, die man nennt Nordost.” Von ihr wurde das Schiff “ergriffen ... und konnte sich nicht wider den Wind halten.” Apostelgeschichte 27,13-15. WA 435.1
Vom Sturm getrieben, näherte sich das Schiff der kleinen Insel Klauda. Unter ihrem Schutz bereiteten sich die Schiffsleute auf das Schlimmste vor. Das Rettungsboot, ihre einzige Zuflucht, sofern das Schiff zerschellen sollte, hing noch im Schlepptau, konnte aber jeden Augenblick zertrümmert werden. Man mußte es als erstes an Deck ziehen. Dann wurden alle möglichen Vorkehrungen getroffen, die das Schiff widerstandsfähiger gegen den Sturm machen sollten. Der geringe Schutz, den ihnen die kleine Insel bot, währte nicht lange, und bald waren sie wieder dem vollen Ungestüm des Sturmes ausgesetzt. WA 435.2
Der Orkan tobte während der ganzen Nacht. Trotz aller Vorkehrungen wurde das Schiff so leck geschlagen, daß während “des nächsten Tages Ladung ins Meer” (Apostelgeschichte 27,18) geworfen werden mußte. Wieder brach die Nacht herein, aber der Sturm ließ nicht nach. Mit unverminderter Gewalt warf er das Schiff, dessen Mast zertrümmert und dessen Segel zerfetzt waren, hin und her. Es schien, als ob die ächzenden Planken jeden Augenblick nachgeben müßten, so heftig schlingerte und zitterte das Schiff im Wüten des Sturmes. Das Leck wurde zusehends größer. Unentwegt arbeiteten Reisende und Besatzung an den Pumpen. Keiner an Bord hatte auch nur einen Augenblick Ruhe. “Am dritten Tage”, so schreibt Lukas, “warfen sie mit eigenen Händen das Schiffsgerät hinaus. Da aber in vielen Tagen weder Sonne noch Sterne erschienen und ein gewaltiges Ungewitter uns bedrängte, war alle Hoffnung auf Rettung dahin.” Apostelgeschichte 27,19.20. WA 435.3
Vierzehn Tage lang trieben sie so dahin. Die Wolken verhüllten die Sonne und auch die Sterne. Obwohl der Apostel körperlich sehr litt, fand er doch auch in den dunkelsten Stunden aufmunternde Worte und half wo immer es notwendig war. Vertrauensvoll umklammerte er den Arm des Allmächtigen; seine Seele war stille zu Gott. Um sich selbst hatte er keine Angst, wußte er doch, daß Gott ihn erhalten würde, um in Rom für die Wahrheit in Christus zu zeugen. Aber von Herzen empfand er Mitleid mit den armen Menschen um ihn herum, die in ihrem sündigen, armseligen Zustand völlig unvorbereitet waren, zu sterben. Als er nun ernstlich Gott um die Erhaltung ihres Lebens bat, wurde ihm offenbart, daß sein Gebet erhört worden sei. WA 436.1
Bald darauf beruhigte sich der Sturm ein wenig. Paulus begab sich aufs Deck, erhob seine Stimme und sagte: “Liebe Männer, man sollte mir gehorcht haben und nicht von Kreta aufgebrochen sein und uns dieses Leides und Schadens überhoben haben. Doch nun ermahne ich euch, daß ihr unverzagt seid; denn keiner von euch wird umkommen, nur das Schiff. Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel Gottes, des ich bin und dem ich diene, und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du mußt vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir fahren. Darum, liebe Männer, seid unverzagt; denn ich glaube Gott, es wird also geschehen, wie mir gesagt ist. Wir müssen aber anfahren an eine Insel.” Apostelgeschichte 27,21-26. WA 436.2
Diese Worte flößten allen neuen Mut ein. Reisende wie Mannschaften rafften sich aus ihrer Teilnahmslosigkeit auf. Noch immer gab es viel zu tun, und sie mußten alle verfügbaren Kräfte einsetzen, um den Untergang abzuwenden. WA 436.3
In der vierzehnten Nacht ihres Kampfes mit den dunklen, hochaufschäumenden Wogen hörten die Schiffsleute “um die Mitternacht” ein Geräusch wie von einer Brandung und dachten, “sie kämen an ein Land. Und sie warfen das Senkblei aus und fanden zwanzig Klafter tief; und über ein wenig davon senkten sie abermals und fanden fünfzehn Klafter. Da fürchteten sie, wir würden an Klippen stoßen, und warfen hinten vom Schiffe vier Anker und wünschten, daß es Tag würde.” Apostelgeschichte 27,27-29. WA 437.1
Bei Tagesanbruch erkannte man die verschwommenen Umrisse einer umbrandeten Küste, ohne aber das geringste wahrnehmen zu können. Die Lage sah so hoffnungslos aus, daß die heidnischen Seeleute allen Mut verloren und “zu fliehen suchten”. Unter dem Vorwand, “sie wollten die Anker vorn aus dem Schiffe lassen”, ließen sie das Rettungsboot nieder. Paulus aber erriet ihre Absicht und sprach zu dem Hauptmann und den Kriegsknechten: “Wenn diese nicht im Schiffe bleiben, so könnt ihr nicht gerettet werden. Da hieben die Kriegsknechte die Stricke ab von dem Boot und ließen es fallen.” Apostelgeschichte 27,30-32. WA 437.2
Doch die gefährlichste Stunde stand ihnen noch bevor. Wiederum richtete Paulus ermutigende Worte an alle und bat die Seeleute wie die Reisenden, etwas Speise zu sich zu nehmen. “Es ist heute der vierzehnte Tag, daß ihr wartet und ohne Speise geblieben seid und habt nichts zu euch genommen. Darum ermahne ich euch, Speise zu nehmen, denn das dient zu eurer Rettung; es wird euer keinem ein Haar vom Haupt fallen. WA 437.3
Und da er das gesagt, nahm er ein Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach’s und fing an zu essen.” Apostelgeschichte 27,33-35. Die erschöpfte und entmutigte Schar von 275 Männern, die ohne Paulus verzweifelt wäre, folgte seinem Beispiel. “Nachdem sie satt geworden, erleichterten sie das Schiff und warfen das Getreide in das Meer.” Apostelgeschichte 27,38. WA 437.4
Inzwischen war es völlig Tag geworden, aber sie konnten immer noch nichts entdecken, woran sie hätten bestimmen können, wo sie waren. “Eine Bucht aber wurden sie gewahr, die hatte ein flaches Ufer. Da hinan wollten sie das Schiff treiben, wenn es möglich wäre. Und sie hieben die Anker ab und ließen sie dem Meer, banden zugleich die Steuerruder los und richteten das Segel nach dem Winde und hielten auf das Ufer zu. Und da sie auf eine Sandbank gerieten, ließen sie das Schiff auflaufen, und das Vorderschiff blieb feststehen unbeweglich, aber das Hinterschiff zerbrach von der Gewalt der Wellen.” Apostelgeschichte 27,39-41. WA 438.1
Paulus und den andern Gefangenen drohte nun ein noch schrecklicheres Schicksal als der Schiffbruch. Die Kriegsknechte erkannten die Unmöglichkeit, die Gefangenen zu bewachen. Jeder würde genug mit seiner eigenen Rettung zu tun haben. Doch wenn ein Gefangener fehlte, hafteten die Kriegsknechte mit ihrem Leben für ihn. Daher wollten sie alle Gefangenen töten. Das römische Gesetz billigte diese grausame Handlungsweise, und der Plan wäre auch sofort ausgeführt worden, wenn unter ihnen nicht der gewesen wäre, dem alle in gleicher Weise Dank schuldeten. Der Hauptmann Julius wußte, daß alle, die sich an Bord befanden, ihre Rettung Paulus zu verdanken hatten. Außerdem war er davon überzeugt, daß der Herr mit Paulus sei, und so fürchtete er sich schon deshalb, dem Apostel ein Leid zuzufügen. Er “wehrte ihrem Vorhaben und hieß, die da schwimmen könnten, sich zuerst in das Meer werfen und entrinnen an das Land, die andern aber etliche auf Brettern, etliche auf den Trümmern des Schiffes. Und so geschah es, daß sie alle gerettet ans Land kamen.” Apostelgeschichte 27,43.44. Als dort die Namensliste vorgelesen wurde, fehlte auch nicht einer. WA 438.2
Die schiffbrüchige Besatzung wurde von den Bewohnern der Insel Malta freundlich aufgenommen. Sie “zündeten ein Feuer an”, schrieb Lukas, “und nahmen uns alle auf um des Regens, der über uns gekommen war, und um der Kälte willen”. Apostelgeschichte 28,2. Paulus gehörte zu denen, die tatkräftig für das Wohlergehen der andern sorgten. Als er “Reiser zusammenraffte und sie aufs Feuer” legte, “kam eine Otter von der Hitze hervor und fuhr Paulus an seine Hand”. Apostelgeschichte 28,3. Die Umstehenden erschraken. Als sie an den Ketten erkannten, daß Paulus ein Gefangener war, sprachen sie zueinander: “Dieser Mensch muß ein Mörder sein, welchen die Rache nicht leben läßt, ob er gleich dem Meer entgangen ist.” Apostelgeschichte 28,4. Paulus jedoch schleuderte das Tier ins Feuer, “und ihm widerfuhr nichts Übles”. Apostelgeschichte 28,5. Die Leute wußten, wie giftig dieses Tier war, und rechneten damit, daß er im nächsten Augenblick unter schrecklichen Krämpfen umfallen würde. “Da sie aber lange warteten und sahen, daß ihm nichts Schlimmes widerfuhr, wurden sie andren Sinnes und sprachen, er wäre ein Gott.” Apostelgeschichte 28,6. WA 438.3
Drei Monate lang blieben die Insassen des Schiffes auf Malta. Während dieser Zeit bot sich für Paulus und seine Mitarbeiter manche Gelegenheit, das Evangelium zu predigen. Und der Herr wirkte sichtbar durch sie. Paulus war der Anlaß dafür, daß alle Schiffbrüchigen freundlich behandelt und möglichst alle ihre Wünsche erfüllt wurden. Als sie endlich Malta verließen, wurden sie mit allem versorgt, was man für eine Reise braucht. Die wesentlichen Geschehnisse während ihres Aufenthalts beschreibt Lukas mit folgenden Worten: WA 439.1
“In dieser Gegend aber hatte der Oberste der Insel, mit Namen Publius, ein Landgut; der nahm uns auf und beherbergte uns drei Tage freundlich. Es geschah aber, daß der Vater des Publius am Fieber und an der Ruhr lag. Zu dem ging Paulus hinein und betete und legte die Hände auf und machte ihn gesund. Da das geschah, kamen auch die andern auf der Insel herzu, die Krankheiten hatten, und ließen sich gesund machen. Und sie taten uns große Ehre; und als wir abreisten, luden sie auf was uns not war.” Apostelgeschichte 28,7-10. WA 439.2