Der Verstand der Israeliten war durch die Sklaverei und das Heidentum erniedrigt und blind geworden und deshalb nicht darauf vorbereitet, die umfassenden Grundsätze der Zehn Gebote ganz zu begreifen. Damit sie nun deren Verpflichtungen besser verstehen und befolgen konnten, wurden ihnen zusätzliche Vorschriften gegeben, die das Wesen der Zehn Gebote veranschaulichten und anwandten. Diese Gesetze nannte man Rechtsverordnungen, weil sie einerseits von unendlicher Weisheit und Gerechtigkeit geprägt waren und andererseits die eingesetzten Richter danach Recht sprechen sollten. Im Unterschied zu den Zehn Geboten wurden sie Mose persönlich anvertraut, der sie dem Volk mitteilen sollte. WAB 288.1
Das erste dieser Gesetze bezog sich auf das Sklavenrecht. Im Altertum verkauften die Richter Verbrecher manchmal in die Sklaverei. In einigen Fällen taten das Gläubiger mit ihren Schuldnern. Zuweilen trieb auch Armut Menschen dazu, sich selbst oder ihre Kinder zu verkaufen. Aber ein Israelit durfte nicht auf Lebenszeit als Sklave gehalten werden. Seine Dienstzeit wurde auf sechs Jahre begrenzt. Im siebenten Jahr musste er freigelassen werden. Es war zwar erlaubt, Sklaven zu halten, die nicht zum eigenen Volk gehörten, aber ihr Leben und ihre Person standen unter strengem Schutz. Der Mörder eines Sklaven sollte bestraft werden, und Verletzungen, die ihm sein Herr zufügte - und sei es nur ein ausgeschlagener Zahn - verliehen ihm das Recht, seine Freiheit zu erlangen. Menschenraub, vorsätzliche Tötung und Auflehnung gegen die elterliche Autorität sollten stets mit dem Tod bestraft werden. WAB 288.2
Die Israeliten waren bis vor kurzem selbst Sklaven gewesen. Nun, da sie selbst welche halten durften, sollten sie sich vor der Grausamkeit und Ungerechtigkeit hüten, die sie selbst unter den ägyptischen Fronherren erlitten hatten. Die Erinnerung an ihre eigene bittere Knechtschaft sollte sie befähigen, sich in die Lage der Sklaven zu versetzen und freundlich und verständnisvoll mit ihnen umzugehen. Sie sollten andere so behandeln, wie sie selbst behandelt werden wollten. WAB 288.3
Die Rechte der Witwen und Waisen wurden besonders geschützt. Es wurde eine mitfühlende Rücksichtnahme auf ihren hilflosen Zustand gefordert. Der Herr erklärte: »Ihr sollt Witwen und Waisen nicht bedrücken. Wirst du sie bedrücken und werden sie zu mir schreien, so werde ich ihr Schreien erhören. Dann wird mein Zorn entbrennen, dass ich euch mit dem Schwert töte und eure Frauen zu Witwen und eure Kinder zu Waisen werden.” (2. Mose 22,21-23) WAB 288.4
Auch Fremde, die sich Israel angeschlossen hatten, sollten vor Unrecht und Unterdrückung geschützt werden: »Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge im Ägyptenland gewesen seid.” (2. Mose 23,9) WAB 289.1
Von einem Armen Wucherzinsen zu nehmen war verboten. Nahm man von ihm Bekleidung oder seine Zudecke als Pfand, musste sie am Abend zurückgegeben werden. Wer gestohlen hatte, musste das Doppelte ersetzen. Das Gesetz schärfte einerseits Achtung vor Richtern und Herrschenden ein und warnte diese andererseits davor, das Recht zu verdrehen, rechtswidrige Sachen zu unterstützen oder sich bestechen zu lassen. Üble Nachrede und Verleumdung wurden verboten, und freundliches Verhalten - selbst gegenüber persönlichen Feinden - wurde angemahnt. WAB 289.2
Erneut erinnerte Mose das Volk an die heilige Verpflichtung, den Sabbat zu halten. Jährliche Feste wurden eingesetzt, an denen sich alle Männer vor dem Herrn versammeln sollten. Dabei sollten sie ihm ihre Dankopfer und die ersten Früchte ihrer Ernte bringen, die sie seinem großzügigen Segen zu verdanken hatten. Der Sinn all dieser Anordnungen wurde ihnen mitgeteilt: Es ging Gott nicht um die Durchsetzung eines willkürlichen Herrschaftsanspruchs, sondern um das Wohl Israels. Der Herr sagte: »Ihr sollt mir heilige Leute sein« (2. Mose 22,30), würdig, von einem heiligen Gott anerkannt zu werden. WAB 289.3
Mose sollte diese Gesetze niederschreiben und als Grundlage des nationalen Rechts sorgfältig aufbewahren. Zusammen mit den Zehn Geboten, zu deren Erläuterung sie gegeben worden waren, stellten sie Gottes Bedingungen dar, von denen die Erfüllung seiner Zusagen an Israel abhing. WAB 289.4
Dann richtete Jahwe folgende Botschaft an sein Volk: »Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe. Hüte dich vor ihm und gehorche seiner Stimme und sei nicht widerspenstig gegen ihn; denn er wird euer Übertreten nicht vergeben, weil mein Name in ihm ist. Wirst du aber auf seine Stimme hören und alles tun, was ich dir sage, so will ich deiner Feinde Feind und deiner Widersacher Widersacher sein.” (2. Mose 23,20-22) Auf allen Wanderungen zog der Sohn Gottes in der Wolken- und Feuersäule als Anführer der Israeliten vor ihnen her. Ihnen wurden zwar Sinnbilder gegeben, die auf den zukünftigen Erlöser hinwiesen, doch der Erretter war auch persönlich bei ihnen. Er gab ihnen durch Mose Richtlinien und stellte sich ihnen als die einzige Segensquelle vor. WAB 289.5