Um seinen Vorteil ganz auszunutzen, gebot der König seinen Kriegern unbesonnen, den ganzen Tag nichts zu essen. Er bekräftigte seinen Befehl mit der feierlichen Verwünschung: »Verflucht sei jeder, der vor dem Abend etwas isst, bis ich mich an meinen Feinden gerächt habe.” (1. Samuel 14,24 Elb.) Der Sieg war bereits ohne Sauls Wissen und Mitwirkung errungen worden, aber er hoffte, sich selbst durch die völlige Vernichtung der besiegten Armee auszuzeichnen. Den Befehl, sich der Nahrung zu enthalten, erließ der König aus selbstsüchtigem Ehrgeiz. Damit zeigte er, dass ihm die Bedürfnisse seines Volkes gleichgültig waren, wenn diese im Widerspruch zu seinem Verlangen nach Selbsterhöhung standen. Und dieses Verbot auch noch mit einem feierlichen Eid zu bekräftigen, zeigte, wie unbesonnen und frevelhaft er war. Schon der Wortlaut des Fluches bewies, dass es bei Sauls Eifer nur um ihn selbst ging und nicht um die Ehre Gottes. Als Zweck gab er nicht an, »damit der Herr an seinen Feinden Rache übe«, sondern: »bis ich mich an meinen Feinden gerächt habe”. WAB 610.1
Das Verbot führte dazu, dass die Krieger ein Gebot Gottes übertraten. Sie hatten den ganzen Tag im Kampf gestanden und waren nun erschöpft vor Hunger. Kaum war die vorgeschriebene Zeit vorbei, fielen sie über erbeutete Tiere her, verschlangen das Fleisch zusammen mit dem Blut und versündigten sich dadurch, denn das Gesetz verbot den Genuss von Blut (vgl. 3. Mose 17,10-14). WAB 610.2
Jonatan hatte vom Befehl des Königs nichts erfahren und verletzte ihn unwissentlich, als er beim Durchstreifen eines Waldes ein wenig Honig aß. Saul erfuhr am Abend davon. Er hatte bekanntgeben lassen, dass jede Missachtung seiner Anordnung mit dem Tod bestraft würde. Obwohl Jonatan kein vorsätzliches Unrecht begangen und Gott ihn wunderbar beschützt und durch ihn Israel von den Feinden erlöst hatte, erklärte der König, das Urteil müsse vollstreckt werden. Das Leben seines Sohnes zu schonen wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Eingeständnis, dass er sich mit dem voreiligen Schwur versündigt hatte. Das wäre eine Demütigung seines Stolzes gewesen. Also lautete sein schreckliches Urteil: »Gott soll mich strafen, wenn ich dich leben lasse!« (1. Samuel 14,44 GNB) WAB 610.3
Saul konnte die Ehre für den Sieg nicht für sich beanspruchen, aber er hoffte, für seinen Eifer um die Einhaltung seines Eides geehrt zu werden. Selbst um den Preis seines Sohnes wollte er seinen Untertanen einprägen, dass die königliche Autorität aufrechterhalten werden müsse. Nicht lange zuvor hatte er in Gilgal entgegen Gottes Gebot priesterliche Amtshandlungen vollzogen. Als Samuel ihn deswegen tadelte, hatte er sich selbstgefällig gerechtfertigt. Als nun sein eigener Befehl missachtet wurde - obwohl dieser der Vernunft widersprach und nur aus Unwissenheit übertreten worden war - verurteilte der König und Vater seinen eigenen Sohn zum Tod. WAB 611.1
Doch die Leute weigerten sich, die Urteilsvollstreckung zu erlauben. Mutig traten sie dem zornigen König entgegen und sagten: »Soll er sterben, nachdem er diesen großen Sieg für Israel errungen hat? Nie und nimmer! So gewiss der Herr lebt: Wir werden nicht zulassen, dass ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird! Nur mit Gottes Hilfe hat er heute solche Taten vollbringen können.” (1. Samuel 14,45 GNB) Der stolze Monarch wagte gegen dieses einmütige Urteil nichts zu sagen. Somit blieb Jonatan am Leben. WAB 611.2
Saul spürte, dass ihm sein Sohn sowohl vom Volk als auch vom Herrn vorgezogen wurde. Jonatans Rettung war für die Unbesonnenheit des Königs eine schwere Rüge. Er begann zu ahnen, dass seine Flüche einmal auf ihn selbst zurückfallen würden. Er brach den Krieg gegen die Philister ab und kehrte verstimmt und unzufrieden nach Hause zurück. WAB 611.3