Erneut wurde die Absicht des Verfolgers vereitelt. Saul sicherte David zu, Frieden mit ihm zu halten, aber David hatte wenig Vertrauen in die Reue des Königs. Er benutzte die Gelegenheit zur Flucht, ehe sich Sauls Laune, so wie zuvor, wieder änderte. Sein Herz war schwer und er sehnte sich nach einem Wiedersehen mit seinem Freund Jonatan. Im Bewusstsein seiner Unschuld suchte er den Sohn des Königs auf und klagte tief bewegt: »Was hab ich getan? Was ist meine Schuld? Was hab ich gesündigt vor deinem Vater, dass er mir nach dem Leben trachtet?” (1. Samuel 20,1) Jonathan glaubte, sein Vater hätte seine Absicht geändert und würde David nicht mehr nach dem Leben trachten. Darum sagte er zu ihm: »Das ist nicht wahr ... Du wirst nicht sterben. Er erzählt mir immer alles, was er vorhat, Wichtiges und Unwichtiges. Ich weiß, dass er mir so etwas nicht verschweigen würde. Es ist einfach nicht wahr!” (1. Samuel 20,2 NLB) Nachdem Gott seine Macht so ausergewöhn- lich offenbart hatte, konnte Jonathan nicht glauben, dass sein Vater David noch immer Leid zufügen wollte, denn dies wäre offene Rebellion gegen Gott gewesen. Aber David ließ sich nicht überzeugen. Mit eindringlichem Ernst erklärte er Jonatan: »So wahr der Herr lebt und so wahr du lebst: Es ist nur ein Schritt zwischen mir und dem Tod!« (1. Samuel 20,3) WAB 639.2
Zur Zeit des Neumondes wurde in Israel stets ein heiliges Fest gefeiert. Diesmal fiel das Fest auf den Tag nach dem Gespräch zwischen David und Jonathan, die beide an der Tafel des Königs erwartet wurden. Aber weil sich David davor fürchtete, vereinbarten die beiden, dass David seine Brüder in Bethlehem besuchen werde. Nach seiner Rückkehr sollte er sich auf einem Feld nicht weit von der Festhalle verborgen halten, und der Gegenwart des Königs drei Tage fernbleiben. In diesen Tagen würde Jonathan Sauls Reaktion genau beobachten. Sollte der König fragen, wo sich Isais Sohn aufhielte, würde Jonatan sagen, er sei zu seinem Vater gegangen, um dort dem Opferfest beizuwohnen. Wenn der König keinerlei Ärger zeigte und sagte: »Es ist recht” (1. Samuel 20,7), würde David beruhigt an den Hof zurückkehren können. Sollte er aber über dessen Abwesenheit in Zorn geraten, würde dies Davids Flucht bedeuten. WAB 639.3
Am ersten Festtag stellte der König keine Frage zu Davids Abwesenheit. Aber als dessen Platz auch am zweiten Tag leer blieb, fragte er: »Warum ist der Sohn Isais nicht zu Tisch gekommen, weder gestern noch heute?« Jonatan antwortete: »David hat mich gebeten, ihn nach Bethlehem gehen zu lassen. Er sagte: ›Lass mich doch gehen, denn wir feiern das Opferfest unserer Familie in der Stadt, und mein Bruder verlangt, dass ich kommen soll. Wenn du mir Gutes tun willst, dann lass mich gehen, damit ich meine Brüder sehen kann.‹ Deshalb ist er nicht an der Tafel des Königs erschienen.” (1. Samuel 20,28.29 NLB) Als Saul das hörte, geriet er in unbändigen Zorn und behauptete, solange David lebe, könne Jonatan den Thron Israels nicht besteigen. Er befahl, David sofort holen zu lassen, um ihn zu töten. Erneut trat Jonatan bittend für seinen Freund ein: »Warum soll er getötet werden? Was hat er denn getan?« (1. Samuel 20,32 GNB) Doch dieser Einspruch steigerte Sauls teuflische Wut nur noch. Er schleuderte den für David vorgesehenen Speer nun gegen seinen eigenen Sohn. WAB 640.1
Tief bekümmert und aufgewühlt verließ der Prinz die königliche Tafel und nahm nicht länger am Fest teil. Seine Seele war von Kummer erfüllt, als er sich zur verabredeten Zeit an dem Ort einfand, wo David die Absichten des Königs erfahren sollte. Sie fielen einander um den Hals und weinten bitterlich. Die finstere Leidenschaft des Königs überschattete das Leben der beiden jungen Männer. Sie fanden kaum Worte in ihrem tief empfundenen Schmerz. Die letzten Worte, die David von Jonatan hörte, ehe sich ihre Wege trennten, waren: »Geh in Frieden, denn wir haben einen Bund im Namen des Herrn geschlossen. Dafür wird der Herr zwischen uns und unseren Kindern für immer Zeuge sein.” (1. Samuel 20,42 NLB) WAB 640.2