Zwei gegensätzliche Meinungen stießen nun im Reichstag aufeinander. Die Gesandten und Vertreter des Papstes forderten von neuem, das freie Geleit für den Reformator nicht zu beachten. »Der Rhein«, sagten sie, »sollte seine Asche aufnehmen, wie dies hundert Jahre zuvor bei Hus der Fall war.« (DAGR, VII, 9) Doch die deutschen Fürsten, obwohl päpstlich gesinnt und offene Feinde Luthers, protestierten gegen einen solch offensichtlichen Treuebruch, da er ein Makel für die Ehre der Nation wäre. Sie wiesen auf das Unheil hin, das auf Hus’ Tod folgte, und gaben deutlich zu verstehen, dass sie nicht gewillt waren, eine Wiederholung dieser schrecklichen Ereignisse über Deutschland und auf das Haupt ihres jugendlichen Kaisers hereinbrechen zu lassen. VSL 152.1
Karl selbst erwiderte auf den niederträchtigen Vorschlag: »Wenn Treue und Glauben nirgends mehr gelitten würden, sollten doch solche an den fürstlichen Höfen ihre Zuflucht finden.” (DAGR, VII, 9; vgl. SCL, 357) Die erbittertsten unter den päpstlichen Feinden Luthers drangen noch weiter auf den Kaiser ein. Er sollte mit dem Reformator so verfahren, wie einst König Sigismund mit Jan Hus, als dieser ihn der Ungnade der Kirche überließ. Aber Karl V erinnerte sich an die Begebenheit, als Hus in der öffentlichen Versammlung auf seine Ketten hinwies und den Monarchen an sein abgegebenes Versprechen erinnerte. Deshalb erklärte er: »Ich will nicht wie Sigismund erröten!« (DAGR, VII, 9; vgl. LHC, 1, 3, 404) VSL 152.2
Karl hatte die Wahrheiten, die Luther verkündigt hatte, jedoch ganz bewusst verworfen. »Ich bin fest entschlossen«, schrieb der Herrscher, »in die Fußstapfen meiner Ahnen zu treten.” (SGR, VII, 9) Er hatte entschieden, nicht von dem Pfad der gewohnten Tradition abzuweichen, auch nicht, um auf den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu gehen. Er würde das Papsttum trotz all seiner Grausamkeit und Korruption stützen, weil das schon seine Väter getan hatten. Damit hatte er seinen Standpunkt eingenommen, und so verwarf er alles Licht, das über die Erkenntnis seiner Väter hinausging, und lehnte jede weitergehende Verpflichtung ab. VSL 152.3