Als Jesus sich wieder erhoben hatte, und zu seinen Jüngern kam, fand er sie schlafend und sprach zu Petrus: “Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.” Matthäus 26,40.41. Im bedeutungsvollsten Augenblick, nachdem Jesus an sie die besondere Bitte gerichtet hatte, mit ihm zu wachen, fand er seine Jünger schlafend. Er wüßte, daß ihnen schwere Kämpfe und furchtbare Versuchungen bevorstanden. Er hatte sie mit sich genommen, damit sie ihn in seinem Ringen stärken könnten. Die Ereignisse, deren Zeugen sie in jener Nacht wurden, und die Stunden der Unterweisung, die ihrer warteten, sollten sich ihrem Gedächtnis unauslöschlich einprägen. All diese Erlebnisse waren erforderlich, um ihren Glauben an ihren Herrn für die ihnen unmittelbar bevorstehende Prüfung zu stärken. Sch1 203.3
Sie brachen unter der Last ihres Kummers zusammen und schliefen ein, statt mit Christus zu wachen. Selbst der übereifrige Petrus schlief ein, obwohl er noch vor wenigen Stunden erklärt hatte, nicht nur leiden, sondern, wenn nötig, auch mit seinem Herrn sterben zu wollen. Im entscheidenden Augenblick, als der Sohn Gottes ihrer Anteilnahme und ihrer innigen Gebete bedurfte, wurden sie schlafend gefunden. Sie haben dadurch viel eingebüßt. Unser Heiland beabsichtigte, sie für die schwere Glaubensprüfung zu stärken, die ihnen bald bevorstand. Hätten die Jünger jene trauererfüllten Stunden damit zugebracht, mit dem Heiland zu wachen und zu Gott zu beten, wäre Petrus nie seiner Schwachheit erlegen und in Versuchung geraten, den Herrn im Augenblick der Prüfung zu verleugnen. Sch1 204.1
Der Sohn Gottes ging zum andernmal wieder hin, betete und sprach: “Mein Vater, ist’s nicht möglich, daß dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille!” Matthäus 26,42. Und wieder kam er zu seinen Jüngern und fand sie abermals schlafend. Ihre Augen waren voll Schlafs. In diesen schlafenden Jüngern sieht Christus das Sinnbild einer schlafenden Gemeinde, wenn die Zeit der Heimsuchung Gottes naht. Es wird eine Zeit voll Wolken und tiefster Finsternis sein, und es bedeutet höchste Gefahr, dann zu schlafen. Sch1 204.2
Jesus hinterließ uns diese Warnung: “So wachet nun (denn ihr wisset nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob er kommt am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder des Morgens), auf daß er nicht schnell komme und finde euch schlafend.” Markus 13,35.36. Von der Gemeinde Gottes wird erwartet, daß sie auch in der Nacht auf der Hut ist, ganz gleich, ob Gefahr droht oder ob die Nacht lang oder kurz sein wird. Trübsal ist keine Entschuldigung für sie, weniger wachsam zu sein. Sie darf auch nicht zu Gleichgültigkeit führen, sondern muß die Wachsamkeit verdoppeln. Christus hat die Gemeinde durch sein Beispiel auf die Quelle ihrer Kraft in Zeiten der Not, der Bedrängnis und Gefahr hingewiesen. Ständige Wachsamkeit ist tatsächlich das Kennzeichen der Gemeinde als des Volkes Gottes. Durch dieses Merkmal unterscheiden sich die Wartenden von der Welt und zeigen, daß sie hier auf Erden Gäste und Fremdlinge sind. Sch1 204.3
Abermals wandte sich der Heiland traurig von seinen schlafenden Jüngern ab, betete zum dritten Male mit denselben Worten. Dann kam er zu ihnen und sprach: “Ach wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, daß des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird.” Matthäus 26,45. Wie grausam handelten die Jünger, als sie schliefen und ihre Augen und Sinne verschlossen, während ihr Meister unaussprechliche seelische Qualen litt! Wären sie wachsam geblieben, hätten sie ihren Glauben nicht verloren, als sie den Sohn Gottes am Kreuz sterben sahen. Sch1 205.1
Seelische Kämpfe und aufrichtige Gebete, die ihnen Kraft verliehen hätten, das unsägliche Todesringen des Sohnes Gottes mitzuerleben, hätten diese bedeutsame Nachtwache auszeichnen müssen. Sie wären damit auch vorbereitet gewesen, angesichts seiner Leiden am Kreuz etwas von dem Wesen der übermächtigen Qual zu verstehen, die er im Garten Gethsemane zu erleiden hatte. Außerdem hätten sie sich die Worte, die er hinsichtlich seiner Leiden, seines Todes und seiner Auferstehung gesprochen hatte, viel besser ins Gedächtnis zurückrufen können. Im Zwielicht der Versuchungsstunde würden dann sicher einige Hoffnungsstrahlen die Finsternis erhellt und ihren Glauben erhalten haben. Sch1 205.2
Christus hatte ihnen vorausgesagt, daß diese Ereignisse geschehen würden, doch sie verstanden ihn nicht. Der Schauplatz seiner Leiden sollte für seine Jünger zur Feuerprobe werden daher ergab sich für sie auch die Notwendigkeit, wachsam zu sein und zu beten. Ihr Glaube bedurfte der Stärkung durch eine unsichtbare Kraft, da sie den Sieg der Mächte der Finsternis erleben sollten. Sch1 205.3