Seine besorgten Jünger folgten ihm von ferne, hinter der mordlustigen Menge zurückbleibend. Er wurde ans Kreuz genagelt und hing nun zwischen Himmel und Erde. Ihre Herzen zerbrachen vor Schmerzen, als ihr geliebter Meister wie ein Verbrecher zu leiden hatte. Unmittelbar am Kreuz standen die verblendeten, scheinheiligen und ungläubigen Priester und Ältesten. Sie schmähten, spotteten und höhnten: “Der du den Tempel Gottes zerbrichst und baust ihn in drei Tagen, hilf dir selber! Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz! Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen, und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König Israels, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.” Matthäus 27,40-43. Sch1 207.2
Kein Wort der Klage kam von den Lippen Jesu. Ja, während sich die Nägel immer tiefer in seine Hände bohrten und der Todesschweiß aus seinen Poren drang, beteten die bleichen, zuckenden Lippen des unschuldig Leidenden für seine Mörder: “Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!” Lukas 23,34. Der ganze Himmel blickte mit tiefer Anteilnahme auf dieses Geschehen herab. Der herrliche Erlöser einer verlorenen Welt nahm die Strafe für die Übertretung des göttlichen Gesetzes durch die Menschen auf sich. Er war im Begriff, sein Volk mit seinem eigenen Blut loszukaufen und damit den Anspruch des heiligen Gesetzes Gottes zu begleichen. Dies war das Mittel, wodurch schließlich die Macht der Sünde, die Gewalt Satans und seiner Engelscharen gebrochen wurde. Sch1 208.1
Oh, gab es je Leiden und Schmerzen gleich denen, die der sterbende Heiland ertrug? Das Gefühl des Unwillens Gottes ließ ihm den Kelch so bitter werden. Nicht körperlicher Schmerz setzte dem Leben Christi am Kreuz ein so schnelles Ende, sondern es war die erdrückende Last der Sünden der Welt und sein Wissen um den Zorn seines Vaters. Die Herrlichkeit des Vaters und dessen stärkende Gegenwart waren von ihm gewichen. Das Gefühl der Verzweiflung lastete dunkel und schwer auf ihm. Seinen bleichen und zitternden Lippen entrang sich der qualvolle Schrei: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” Matthäus 27,46. Sch1 208.2
Jesus erschuf gemeinsam mit seinem Vater die Welt. Angesichts der Todesqualen des Sohnes Gottes blieben nur verblendete und irregeführte Menschen gefühllos. Die Hohenpriester und Ältesten schmähten den eingeborenen Sohn Gottes während seines letzten Ringens. Dennoch nahm selbst die unbelebte Natur an dem Schicksal ihres sterbenden Schöpfers Anteil. Die Erde zitterte, die Sonne verlor ihren Schein und der Himmel ward finster. Die Engel waren Zeugen der Leidensszene, bis sie nicht mehr länger hinschauen konnten und ihr Antlitz von dem schrecklichen Geschehen abwandten. Christus starb! Er verzagte! Die zustimmende Gunst des Vaters war geschwunden; und die Engel durften den Bann dieser furchtbaren Stunde nicht lösen. Ihnen blieb nur, in Bewunderung auf ihren geliebten Herrn, den König des Himmels, zu schauen, der die Strafe für die Übertretung des Gesetzes durch die gefallene Menschheit, dem Willen seines Vaters folgend, auf sich genommen hatte. Sch1 208.3