Kapitel 25: Die Hoffnung der Gemeinde
Als ich kürzlich mich umschaute, um die demütigen Nachfolger des demütigen und sanftmütigen Heilandes zu finden, wurde mein Gemüt sehr bewegt. Viele, die bekennen, auf das baldige Kommen Christi zu warten, passen sich dieser Welt an und suchen ernstlicher ihren Beifall als die Anerkennung Gottes. Sie sind kalt und förmlich, gleich den Namenschristen, von denen sie sich kurz vorher absonderten. Die Worte, die an die Gemeinde zu Laodizea gerichtet sind, beschreiben ihren gegenwärtigen Zustand aufs deutlichste. Siehe Offenbarung 3,14-20. Sie sind “weder kalt noch warm”, sondern “lau”. Und es sei denn, daß sie den Rat des “treuen und wahrhaftigen Zeugen” beachten, ernstlich Buße tun und “kaufen Gold, das im Feuer geläutert ist”, “weiße Kleider” und “Augensalbe”, so will er sie ausspeien aus seinem Munde.EG 100.1
Die Zeit ist gekommen, wo ein großer Teil derjenigen, die einst in der Aussicht auf das baldige Kommen des Herrn vor Freude jauchzten, in demselben Zustand sich befinden, wie diejenigen, die sie einst für ihren Glauben an das Kommen Jesu verspotteten und alle möglichen Lügen verbreiteten, um Vorurteil gegen sie zu erregen und ihren Einfluß zu zerstören. Wenn nun Seelen nach dem lebendigen Gott verlangen, nach Gerechtigkeit hungern und dürsten und Gott sie seine Kraft fühlen läßt und das Verlangen ihrer Seele stillt, indem er seine Liebe in ihre Herzen ausgießt, und sie durch ihr Lob Gott verherrlichen, so werden sie oft von denjenigen, die bekennen, an das nahe Kommen des Herrn zu glauben, für Verführte angesehen und beschuldigt, unter dem Einfluß von Magnetismus zu stehen oder einen bösen Geist zu haben.EG 100.2
Viele von diesen bekenntlichen Christen kleiden sich, reden und handeln wie die Welt; das einzige, woran man sie erkennen kann, ist ihr Bekenntnis. Obgleich sie vorgeben, auf Christus zu warten, dreht sich ihre Unterhaltung nicht um himmlische, sondern um irdische Dinge. Wie müssen diejenigen beschaffen sein, die “mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen”, bekennen, zu “warten und zu eilen zu der Zukunft des Tages des Herrn?” 2.Petrus 3,11. “Ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich, gleichwie er auch rein ist.” 1.Johannes 3,3. Aber es ist eine Tatsache, daß viele, die den Namen Adventist tragen, mehr darüber nachdenken, wie sie ihre Leiber schmücken und in den Augen der Welt schön erscheinen können, als aus dem Worte Gottes zu lernen, wie sie Gottes Beifall erlangen können.EG 101.1
Wie würde es nun sein, wenn Jesus, unser Vorbild, unter ihnen und den bekenntlichen Christen im allgemeinen, wie bei seinem ersten Kommen erscheinen würde? Er wurde in einem Stalle geboren. Folgt ihm durch sein Leben und Predigtamt. Er war ein Mann der Leiden und mit den Schmerzen bekannt. Diese bekenntlichen Christen würden von dem sanftmütigen und demütigen Heiland beschämt werden, der ein einfaches Gewand ohne Naht trug und nicht hatte, da er sein Haupt hinlegte. Sein fleckenloses, selbstverleugnendes Leben würde sie verdammen; seine heilige Würde würde ein schmerzlicher Vorwurf für ihren Leichtsinn und ihr eitles Gelächter sein; seine offene, freie Rede würde ihrer weltlichen und lüsternen Unterhaltung Einhalt tun; seine Auslegung der ungeschminkten, schneidenden Wahrheit würde ihren wahren Charakter offenbaren, und sie würden wünschen, daß sanftmütige Vorbild, den liebevollen Heiland, sobald als möglich aus dem Wege zu schaffen. Sie würden die ersten sein, ihn in seinen Reden zu fangen und den Ruf zu erheben: “Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!”EG 101.2
Laßt uns Jesu folgen, wie er so demütig zu Jerusalem einzog, als die Menge der Jünger Gott mit lauter Stimme lobte und pries und rief: “Gelobet sei, der da kommt, ein König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe. Und etliche der Pharisäer im Volk sprachen zu ihm: Meister, strafe doch deine Jünger. Er antwortete und sprach zu ihnen: Ich sage euch: wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien.” Ein großer Teil derjenigen, die vorgeben, auf Christum zu warten, würde ebenso bereit sein wie die Pharisäer, den Jüngern Schweigen zu gebieten, und würde ohne Zweifel den Ruf erheben: “Schwärmerei! Magnetismus! Spiritismus!” Ebenso würden die Jünger, die ihre Kleider ausbreiten und Palmzweige auf den Weg streuen, für überspannt erklärt werden. Aber Gott will kein Volk auf Erden haben, das so kalt und tot ist, sondern das ihn loben und verherrlichen kann. Er will von etlichen Ehre haben, und wenn seine Auserwählten, die seine Gebote halten, schweigen, so werden die Steine schreien.EG 102.1
Jesus kommt, aber nicht wie bei seinem ersten Kommen als ein Kind in Bethlehem, nicht wie er zu Jerusalem einzog, als die Jünger mit lauter Stimme Gott priesen und Hosianna riefen, sondern in der Herrlichkeit des Vaters und alle heiligen Engel mit ihm, die ihn auf seinem Weg zur Erde begleiten. Der ganze Himmel wird von den Engeln verlassen sein, während die wartenden Heiligen nach ihm ausschauen und gen Himmel blicken, wie die Männer von Galiläa taten, als er von dem Ölberg gen Himmel fuhr. Dann werden nur diejenigen, die heilig sind, diejenigen, die ganz dem sanftmütigen Vorbild nachgefolgt sind, mit Freuden ausrufen: “Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren, und er wird uns helfen!” Sie werden verwandelt werden “in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune”, der Posaune, die die schlafenden Heiligen aufweckt und sie aus ihren staubigen Betten hervorruft; sie werden mit Unsterblichkeit begleitet werden und rufen: “Sieg! Sieg! über Tod und Grab.” Die verwandelten Heiligen werden dann zugleich mit den Engeln dem Herrn entgegengerückt werden in der Luft, um niemals mehr von dem Gegenstand ihrer Liebe getrennt zu werden.EG 102.2
Sollten wir mit solcher Aussicht vor uns, solch herrlicher Hoffnung, solcher Erlösung, die Christus uns durch sein eigenes Blut erworben hat, schweigen? Sollten wir nicht auch Gott mit lauter Stimme preisen, wie die Jünger dies taten, als Jesus zu Jerusalem einzog? Ist unsere Aussicht nicht viel herrlicher, als die ihrige war? Wer sollte uns dann hindern, Gott mit lauter Stimme zu verherrlichen, wenn wir eine solche Hoffnung der Unsterblichkeit und Herrlichkeit haben? Wir haben die Kräfte der zurkünftigen Welt geschmeckt und verlangen nach mehr. Mein ganzes Wesen sehnt sich nach dem lebendigen Gott, und ich will nicht zufrieden sein, bis ich mit seiner ganzen Fülle erfüllt bin.
EG 103.1