Kapitel 56: Unausgeglichene geistige Fähigkeiten
Gott hat jedem von uns wertvolle Güter anvertraut, für die wir verantwortlich sind. Nach Gottes Absicht sollen wir unseren Verstand erziehen, daß wir in der Lage sind, die von ihm empfangenen Fähigkeiten so einzusetzen, daß sie dem Allerbesten dienen und die Herrlichkeit des Gebers widerspiegeln. Wir verdanken Gott alle unsere geistigen Eigenschaften. Diese Kräfte können gebildet und so besonnen gelenkt und eingesetzt werden, daß sie die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen. Eines jeden Pflicht ist es, dazu auch alle Anlagen zu entwickeln und alle seelischen Kräfte ans Licht zu holen. Ist das erreicht, wird der Verstand erstarken, und die Aufgabe, für die wir befähigt wurden, kann erfüllt werden.Sch1 267.1
Viele arbeiten nicht mit allen Kräften an der Erfüllung des Guten, weil sie ihren Verstand zu einseitig einsetzen. Sie müssen manche Dinge, die sie für unangebracht halten, sorgfältiger beachten. Schwächere Anlagen liegen brach, da die Aufgaben, die diese Anlagen einsetzen und sie deshalb auch kräftigen könnten, als unangenehm empfunden werden. Auffassungsgabe, Urteilsvermögen, Gedächtnis und alle Geisteskräfte sollten gleich stark sein, damit die geistigen Fähigkeiten wohlausgewogen sind. Wenden wir unsere Verstandeskräfte an, und pflegen wir alle Fähigkeiten!Sch1 267.2
Wenn bestimmte Fähigkeiten auf Kosten anderer vernachlässigt werden, kommt die Absicht Gottes in uns nicht völlig zur Wirkung; denn alle Anlagen stehen miteinander in Beziehung und sind in hohem Maße voneinander abhängig. Eine einzelne Anlage kann ohne die Mitwirkung aller anderen nicht wirkungsvoll angewandt werden, da das Gleichgewicht sorgfältig erhalten bleiben muß. Wird alle Kraft und Aufmerksamkeit nur einer Fähigkeit zuteil, während die anderen vernachlässigt werden, entwickelt sich diese eine zu stark und führt zu Auswüchsen, da nicht alle Kräfte gleichmäßig gefördert werden. Der Verstand mancher Menschen ist verkümmert und unausgeglichen. Die verschiedenen Geisteskräfte des einzelnen sind naturgemäß nicht gleich stark. Wir haben mannigfaltige Geistesanlagen. Manche sind in gewisser Hinsicht stark und in anderen Punkten sehr schwach. Diese augenscheinlichen Unzulänglichkeiten aber dürfen und sollen nicht vorhanden sein. Wer solche Unvollkommenheiten besitzt, würde sie beseitigen können, wenn er seine schwächeren Anlagen ständig übte und anwendete.Sch1 267.3
Es ist wohl angenehm, aber durchaus nicht sehr ersprießlich, die von Natur aus stärksten Anlagen einzusetzen, während wir die schwachen vernachlässigen, die es nötig hätten, gefördert zu werden. Den schwächsten Anlagen gelte unsere besondere Aufmerksamkeit. Alle Geisteskräfte sollten wohlausgeglichen sein und ihre Aufgabe wie eine gut arbeitende Maschinerie erfüllen. In der Erhaltung unserer Fähigkeiten sind wir von Gott abhängig. Wir Christen tragen ihm gegenüber die Verpflichtung, den Geist so zu schulen, daß alle Fähigkeiten gestärkt und noch besser ausgebildet werden. Versäumen wir jedoch diese Aufgabe, werden sie niemals den Zweck erfüllen, für den sie bestimmt sind. Wir haben kein Recht, irgendeine der Fähigkeiten zu vernachlässigen, die Gott uns gegeben hat. Allenthalben begegnen wir Menschen, die unter Zwangsvorstellungen leiden. Sie sind häufig von einer fixen Idee besessen. Ursache hierfür war die übermäßige Inanspruchnahme einer Gehirnpartie, während die anderen Teile brachlagen. Diese ständig beschäftigte Partie ist den Anforderungen nicht gewachsen und erkrankt, so daß der Mensch zum Wrack wird. Befolgen wir diesen Weg, verherrlichen wir Gott nicht. Wenn wir alle Organe gleichmäßig beanspruchten, entwickelten sich auch alle völlig gesund und harmonisch. Wäre nicht ein Organ überlastet worden, hätte es nicht verbraucht werden können.Sch1 268.1
Die Prediger sollten darauf achten, daß ihre eigenen Pläne die Absichten Gottes nicht vereiteln. Sie stehen in Gefahr, das Werk Gottes einzuengen und ihre Arbeit nur auf gewisse Orte zu beschränken. Außerdem scheinen sie den verschiedenen Abteilungen des Werkes Gottes kein besonderes Interesse entgegenzubringen. Es gibt manche, die ihre Kräfte nur auf eine einzige Sache konzentrieren, und damit alles andere ausschließen, was möglicherweise von gleicher Wichtigkeit ist. Es sind einseitige Menschen. Ihre ganze Lebenskraft setzen sie für die Angelegenheit ein, mit der sie sich zur Zeit beschäftigen. Alle anderen Erwägungen werden übergangen. Und immer wieder zeugen ihre Gedanken und Gespräche von diesem Lieblingsthema. Alles, was damit irgendwie in Zusammenhang steht, greifen sie begierig auf und eignen es sich an. Ja, man hält sich so lange dabei auf, daß es dem Geist lästig wird, diesem Thema noch länger zu folgen.Sch1 268.2
Viel Zeit wird häufig verloren durch Erläuterung von Dingen, die wirklich unwichtig sind und die ohne Beweise angenommen werden können, weil sie für selbstverständlich gelten. Die wirklich lebenswichtigen Punkte jedoch sollten so deutlich und überzeugend dargestellt werden, wie Sprache und Beweisumstände es nur vermögen. Bis zu einem gewissen Grade ist es gut, sich auf eine einzige Sache, unter Ausschluß alles anderen, konzentrieren zu können. Doch wenn dies ständig der Fall ist, ermüden die Organe, die im Dienst dieser Arbeit stehen. Ihnen wird zuviel zugemutet. Das Ergebnis zeigt sich dann in einer wenig guten Durchführung. Bestimmte Organe tragen die Hauptlast, während die anderen brachliegen. Dadurch können sich die geistigen Anlagen nicht harmonisch entfalten und die Lebensspanne wird dadurch schließlich gar verkürzt.Sch1 269.1
Alle Fähigkeiten sollten unsere Aufgabe mittragen, sie sollten zusammenwirken und einander ausgleichen. Wer seine gesamte Geisteskraft auf ein Gebiet konzentriert, ist dafür auf anderen Gebieten nicht genügend beschlagen, weil die einzelnen Anlagen nicht gleichmäßig gefördert werden. Ein bestimmtes Problem fesselt die Aufmerksamkeit, und man dringt immer tiefer in diese Materie ein. Man sieht Weisheit und Erkenntnis vor sich, je mehr man von diesem Problem in Anspruch genommen wird. Aber nur sehr wenige Geister vermögen dann noch zu folgen, es sei denn, sie widmeten dieser Angelegenheit die gleiche gedankliche Intensität. Es besteht die Gefahr, daß solche Männer den Samen der Wahrheit so tief einpflügen und einpflanzen, daß der zarte, kostbare Halm niemals die Oberfläche erreichen wird.Sch1 269.2
Oftmals wird viel harte Arbeit geleistet, die weder verlangt wurde noch jemals geschätzt wird. Wer seine große Konzentrationsfähigkeit auf Kosten anderer Fähigkeiten fördert, dessen geistige Fähigkeiten können nicht wohlausgewogen sein. Sie reagieren wie eine Maschine, von der nur einige Räder in Bewegung sind. Während diese durch ständige Verwendung abgenutzt werden, rosten die anderen, die stillstehen. Die Menschen, die sich nur auf ein oder zwei Fähigkeiten stützen, können nicht halb soviel Gutes vollbringen, wie sie eigentlich sollten. Sie sind zu einseitig. Nur die Hälfte der Fähigkeiten wenden sie an, die sie von Gott empfangen haben. Die andere Hälfte bleibt untätig.Sch1 269.3
Wenn diese Geistesarbeiter eine besondere Arbeit vorhaben, die Überlegung erfordert, sollten sie nicht ihre gesamten Kräfte auf diese eine Aufgabe lenken und damit alle anderen Interessen ausschließen. Wenn auch das vor ihnen liegende Problem ihr Hauptanliegen ist, dürfen dennoch nicht andere Aufgabengebiete völlig vernachlässigt werden. Das wäre nicht nur für sie selbst zum Schaden, sondern für das Werk überhaupt. Die einzelnen Interessen und Aufgabenkreise sollten niemals zugunsten eines einzigen Gebietes unbeachtet bleiben.Sch1 270.1
Manche müssen beim Schreiben ständig darauf achten, klare Gedankengänge nicht zu verdunkeln. Das ist besonders dann der Fall, wenn eine Fülle von Beweisen angeführt wird, die für den Leser gar nicht wichtig sind. Wenn sie weitschweifig bei Punkten verharren und jede Einzelheit erläutern, die sich von selbst versteht, ist ihre Mühe fast umsonst. Das Interesse des Lesers wird nicht groß genug sein, um dem Thema bis zum Ende nachzugehen. Die wichtigsten Wahrheitspunkte können überladen und dadurch verdunkelt werden, wenn jede winzige Einzelheit beachtet wird. Man hat zwar viele Beweise erörtert, aber diese Arbeit, auf die soviel Mühe verwandt wurde, ist nicht geeignet, das allgemeine Interesse zu wecken.Sch1 270.2
In unserer Zeit, in der leichte Unterhaltungslektüre den Ton angibt und die Herzen für sich einnimmt, ist es besser, die Wahrheit, gestützt auf einige starke Beweise, leicht verständlich vorzutragen, als tiefgründige Forschungen anzustellen und eine überwältigende Reihe von Tatsachen darzulegen. Wir entgehen dann der Gefahr, daß die Hauptpunkte in den Köpfen vieler Menschen zu einem unentwirrbaren Chaos ineinanderlaufen, was angesichts der Einwände und Gegeneinwände leicht möglich ist. Bei vielen werden bestimmte Argumente mehr erreichen als langatmige Erklärungen, denn für sie sind die meisten Dinge selbstverständlich. Solche Menschen brauchen keine Beweise.Sch1 270.3