Zurück Nach Wittenberg
Als Luther auf der Wartburg von diesen Ereignissen hörte, sagte er tief besorgt: »Ich habe immer erwartet, dass Satan uns eine solche Plage schicken würde.« (DAGR, IX, 7, 42 ff.) Er erkannte den wahren Charakter dieser falschen Propheten und sah die Gefahr, die der Wahrheit drohte. Der Widerstand des Papstes und des Kaisers hatte in ihm nie solch große Verwirrung und Verzweiflung hervorgerufen wie das, was er jetzt erlebte. Aus den Reihen vorgeblicher Freunde der Reformation kamen ihre schlimmsten Feinde. Gerade die Wahrheiten, die ihm so große Freude und so viel Trost bereitet hatten, wurden nun dazu missbraucht, um in der Kirche Zwiespalt und Verwirrung zu stiften.VSL 173.3
Der Heilige Geist hatte Luther bei seinem Erneuerungswerk vorangetrieben, sodass dieser über sich hinauswuchs. Er hatte nicht geplant, eine solche Stellung einzunehmen, wie er sie jetzt besaß, oder solch drastische Veränderungen vorzunehmen. Obwohl er nur ein Werkzeug in der Hand des Allmächtigen war, bangte er oft um den Ausgang seiner Sache. Einmal sagte er: »Wüsste ich, dass meine Lehre einem einfältigen Menschen schadete (und das kann sie nicht, denn sie ist das Evangelium selbst), so möchte ich eher zehn Tode leiden, als nicht widerrufen.” (DAGR, IX, 7, 42 f.)VSL 173.4
Nun fiel das Zentrum der Reformation, die Stadt Wittenberg, dem Fanatismus und der Gesetzlosigkeit zum Opfer. Luthers Lehren hatten diesen schrecklichen Zustand sicher nicht verursacht, aber seine Feinde im ganzen Land gaben ihm die Schuld dafür. Verbittert fragte er sich manchmal: »Dahin sollt es mit dem großen Werk der Reformation kommen?” Wenn er aber mit Gott im Gebet rang, zog Friede in sein Herz ein: »Gott hat das Werk angefangen, Gott wird es wohl vollenden«, sagte er, »du wirst es nicht dulden, dass es durch Aberglauben und Fanatismus verderbt wird.” (DAGR, IX, 7, 42 f.) Der Gedanke, noch länger dem Schauplatz dieser Auseinandersetzung fernzubleiben, wurde ihm unerträglich. So entschloss er sich, nach Wittenberg zurückzukehren.VSL 174.1
Sofort machte sich Luther auf den gefahrvollen Weg. Noch stand er unter der Reichsacht. Seine Feinde konnten ihn einfach umbringen, Freunden war es verboten, ihm zu helfen und Unterschlupf zu gewähren. Die kaiserliche Regierung hatte gegen seine Anhänger die energischsten Schritte eingeleitet. Doch er sah, dass das Evangeliumswerk in Gefahr war, und im Namen des Herrn zog er furchtlos für die Wahrheit in den Kampf.VSL 174.2
Nachdem er seine Absicht erklärt hatte, die Wartburg zu verlassen, schrieb Luther an den Kurfürsten von Sachsen: »Eure Kurfürstliche Gnaden wisse, ich komme gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz denn des Kurfürsten. Ich hab’s auch nicht im Sinne, von Eurer Kurfürstlichen Gnaden Schutz zu begehren. Ja, ich halt, ich wolle Eure Kurfürstlichen Gnaden mehr schützen, denn sie mich schützen könnte. Dazu wenn ich wüsste, dass mich Eure Kurfürstlichen Gnaden könnte und wollte schützen, so wollte ich nicht kommen. Dieser Sache soll noch kann kein Schwert raten oder helfen, Gott muss hier allein schaffen, ohne alles menschliche Sorgen und Zutun. Darum, wer am meisten glaubt, der wird hier am meisten schützen.” (DAGR, IX, 8, 53 f.)VSL 174.3
In einem zweiten Brief, den er auf dem Weg nach Wittenberg verfasste, fügte Luther hinzu: »Ich will Eurer Kurfürstlichen Gnaden Ungunst und der ganzen Welt Zorn ertragen. Die Wittenberger sind meine Schafe. Gott hat sie mir anvertraut. Ich muss mich für sie in den Tod begeben. Ich fürchte in Deutschland einen großen Aufstand, wodurch Gott unser Volk strafen will.” (DAGR, IX, 7, 42 f.)VSL 174.4
Er handelte vorsichtig und demütig; gleichzeitig aber war er fest entschlossen. »Mit dem Worte«, sagte er, »müssen wir streiten, mit dem Worte stürzen, was die Gewalt eingeführt hat. Ich will keinen Zwang gegen Aber und Ungläubige. ... Keiner soll zum Glauben und zu dem, was des Glaubens ist, gezwungen werden.” (DAGR, IX, 8, 53 f.)VSL 174.5